Qualitätssiegel für regionale Handwerksprodukte
Schadet EU–Verordnung Solingens Ruf?
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Neues Gesetz könnte den hohen Qualitätsanspruch an Schneidwaren aus der Klingenstadt aufweichen.
Von Manuel Böhnke
Solingen. Es klingt nach einer guten Nachricht: Die EU möchte ein Qualitätssiegel für besondere regionale Handwerksprodukte einführen. Damit hätten Konsumenten Gewissheit, dass es sich beispielsweise bei Solinger Schneidwaren nicht um Nachahmungen handelt, argumentieren Befürworter. Jubel löst der Plan in der Klingenstadt allerdings nicht aus. Die Bergische Industrie- und Handelskammer (IHK) sowie der Industrieverband Schneid- und Haushaltwaren (IVSH) befürchten, dass darunter der gute Ruf des Standorts und seiner Produkte leiden könnte.
„Das Thema ist einigermaßen komplex“, gesteht IVSH-Geschäftsführer Jens-Heinrich Beckmann ein. Auf der einen Seite steht seit 1938 die bewährte Solingenverordnung. Sie regelt, dass Schneidwaren nur unter bestimmten Voraussetzungen den Namen „Solingen“ tragen dürfen. Zudem hat die IHK die Marke „Solingen“ in der Europäischen Union sowie rund 20 weiteren Ländern eintragen lassen, darunter die USA, Türkei und China.
Damit ist die Klingenstadt ein Sonderfall. Die EU plant, das zu ändern und den Stellenwert schützenswerter regionaler Produkte zu erhöhen. Dadurch, befürchtet Jens-Heinrich Beckmann, könnte die Solingenverordnung ihre Gültigkeit verlieren. Doch selbst wenn ihr Bestandsschutz eingeräumt werden sollte, sehen IVSH und IHK Probleme.
Der Entwurf der neuen „EU-Verordnung über geografische Angaben für handwerkliche und industrielle Erzeugnisse“ sieht vor, dass mindestens ein Produktionsschritt in dem betroffenen Gebiet erfolgen muss. Die Anforderungen der Solingenverordnung sind wesentlich strenger. „Der hohe Qualitätsanspruch, der jetzt besteht, würde massiv aufgeweicht“, merkt Beckmann an.
„Mein Eindruck ist, dass man uns gar nicht richtig anhört.“
Würden beide Vorgaben parallel zueinander existieren, könnte das zu Verwirrung führen, sagt Dr. Andreas Leweringhaus. Er ist bei der Bergischen IHK unter anderem für den Schutz der Marke „Solingen“ zuständig. Das gelte zum einen für Hersteller, die sich fragen könnten, welche Regeln nun gelten. Denn auf die außerhalb der EU bestehenden Markenrechte an der Bezeichnung „Solingen“ hätte das neue Gesetz keinen direkten Einfluss – sie bestehen weiter.
Zum anderen könnten die unterschiedlichen Regeln dem Zoll in vielen Ländern Schwierigkeiten bei Grenzbeschlagnahmungen bereiten. Mit den bisherigen Vorgaben lassen sich Leweringhaus zufolge Fälschungen relativ gradlinig identifizieren, weil die Schneidwaren in allen wesentlichen Schritten in der Klingenstadt hergestellt worden sein müssen. Beispiel: Vermeintliche Solinger Messer werden nach Chile importiert. Sie kommen allerdings nicht aus der EU, sondern aus China – ein Alarmsignal für den Zoll. Bräuchte es nur noch einen lokalen Produktionsschritt, um den Namen „Solingen“ verwenden zu dürfen, wäre dieses Alarmsignal „viel schwächer“.
Diese und weitere Einwände bringen IHK und IVSH seit knapp zwei Jahren vor, unter anderem über das EU-Konsultationsportal. „Mein Eindruck ist, dass man uns gar nicht richtig anhört“, kritisiert Jens-Heinrich Beckmann. Dabei sieht Andreas Leweringhaus eine gute Lösung: Er hält es für möglich, der Bezeichnung „Solingen“ einen effektiven Bestandsschutz einzuräumen, indem man die bestehenden Regelungen in der Verordnung in Bezug nimmt. Damit habe der Gesetzgeber in den 1990er Jahren gute Erfahrungen gemacht, als die EU das Markenrecht reformierte. Damals hatte man die Solingenverordnung mit ihren Strukturen erhalten und in das deutsche Markenrecht eingebettet.
Ob das erneut gelingt, vermag Leweringhaus nicht zu prognostizieren. Die Europäische Kommission habe zwar informell erklärt, bestehende Markenrechte könnten erhalten bleiben. Offen sei aber, ob das im laufenden Gesetzgebungsverfahren deutlich genug zum Ausdruck kommt.
Die Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten haben sich zuletzt auf einige Eckpunkte für die neue Verordnung verständigt, beide Seiten müssen noch formell zustimmen. „Wir geben natürlich nicht auf, sondern versuchen weiterhin, Druck auszuüben“, kündigt Jens-Heinrich Beckmann an. Er hat im Namen des Verbandes in dieser Woche ein Schreiben an den bergischen Bundestagsabgeordneten Jürgen Hardt, EU-Parlamentarier Axel Voss (beide CDU) sowie den zuständigen EU-Kommissar Thierry Breton verschickt. Zudem möchten IVSH und IHK betroffene Firmen schriftlich auffordern, aktiv zu werden.
Verordnung
Die Solingenverordnung sieht vor, dass alle „wesentlichen Herstellungsstufen“ in der Klingenstadt oder Haan erfolgt sein müssen, damit Schneidwaren die Bezeichnung „Solingen“ tragen dürfen. Zudem bestehen Anforderungen an die verwendeten Rohstoffe sowie die Bearbeitung.