Erinnerung

10 Tote und über 40 Verletzte aus Wuppertal

Beim Zugunglück in Pelm starben 1897 zehn Menschen, mehr als 40 wurden verletzt. Die Geschichte hat Christopher Ernestus aufgearbeitet.
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Beim Zugunglück in Pelm starben 1897 zehn Menschen, mehr als 40 wurden verletzt. Die Geschichte hat Christopher Ernestus aufgearbeitet.

Wuppertal. Das Zugunglück vor 125 Jahren ging in die Geschichte der Stadt ein

Von Martin Gehr

Ein Gedenkstein erinnert in Pelm bei Gerolstein an die Opfer.

Abraham Ernestus war 27 Jahre alt, als er die Leitung des väterlichen Betriebs übernehmen sollte. Die Riemendreherei an der Uellendahler Straße 368 gehörte im Jahre 1897 zu den typischen Errungenschaften der Wuppertaler Textilindustrie. Dort wurden Schnürriemen, Borten und Kordeln hergestellt. Doch Abraham sollte das Unternehmen nie führen können, denn am 18. Mai 1897 starb er bei einem Zugunglück, das vor nunmehr 125 Jahren in die Geschichte Wuppertals einging.

Abraham gehörte zu rund 1100 Reservisten, die vom Barmer Bezirkskommando zu einem jährlichen Manöver eingezogen wurden. Einer der Transporte war in Barmen gestartet und beförderte die jungen Männer in 32 Personenwagen in Richtung Elsaß-Lothringen. Das französische Gebiet war 1871 vom Deutschen Kaiserreich annektiert worden. „Das Deutsche Reich hat Präsenz zeigen wollen und dort Geländeübungen angesetzt“, erklärt Christopher Ernestus, der an der Uni Wuppertal Elektrotechnik studierte.

Der Bruch einer Zugstange war vermutlich die Ursache

Von den Reservisten stammten 570 aus Barmen und Elberfeld und 300 aus Vohwinkel und Umgebung. Doch der Zug sollte nie ankommen. Ernestus begab sich auf Spurensuche, um das Schicksal seines Vorfahren zu ergründen. Der 63-Jährige nutzte historische Tageszeitungen, darunter den General-Anzeiger, die Barmer und die Elberfelder Zeitung und das Wuppertaler Stadtarchiv. „Es war erstaunlich, wie detailliert schon damals die Ereignisse in den Zeitungen beschrieben wurden.“

Und so entwickelte sich eine Tragödie, die bei einem kurzen Aufenthalt des Militärzuges in Jünkerath in der Eifel ihren Anfang nahm: „Dort wurde anstelle der Güterzuglokomotive eine Lok für Personenzüge eingesetzt und das Personal gewechselt.“ Die neue Lok war mit einer Luftdruckbremse ausgestattet, an die alle Wagen über Schläuche anzuschließen waren. „Wenn es zu einer Trennung des Zuges während der Fahrt kam, wurden alle Wagen automatisch gebremst.“ In Jünkerath sei es aber zu Diskussionen gekommen, ob es nicht reiche, nur bei einem Teil der Wagen die Luftdruckbremse einzuschalten.

Fast alle Opfer kamen aus Wuppertal und Umgebung

Die gezeigten Fotos und die Illustration stammen aus der Sammlung Thea Merkelbach, die die Gedenkstätte betreut.

Und dann passierte es: „Kurz nach der Durchfahrt durch den nächsten Bahnhof trennte sich zwischen dem 13. und 14. Wagen der hintere Teil des Zuges ab – vermutlich durch den Bruch einer Zugstange. In der Dunkelheit und bei herrschendem Nebel wurde im Zug zwar ein Ruck, aber zunächst nicht dessen Ursache bemerkt.“ Vier Streckenwärter versuchten vergeblich, den Zug durch Laternen und Hornsignale zu warnen. Die Sachverständigen waren sich später einig, dass die Luftdruckbremse in 20 Sekunden gewirkt hätte – der Zug fuhr jedoch noch mindestens fünf Minuten weiter. „Ein Leutnant versuchte, zur Lokomotive vorzudringen, was damals nur über die Plattformen von Wagen zu Wagen kletternd möglich war.“ Auf dem Weg traf er einen Bremser, der dem Lokführer mit Pfeifen und Schwenken der Laterne ein Signal gab, so dass der Zug zum Stehen gekommen sei, hieß es im Zeitungsbericht. „Als der Leutnant zurück im Offizierswagen war, bemerkte er, wie der hintere Zugteil auf den vorderen zuraste. Beim Aufprall wurden drei Wagen vollständig zertrümmert; der vorderste Wagen stellte sich durch den Aufprall quer. „In der Dunkelheit waren die Schreie der Verletzten und Sterbenden zu hören.“ Der Zug befand sich zu dem Zeitpunkt nahe des Ortes Pelm bei Gerolstein. Fast alle der zehn Toten und der über 40 Verletzten kamen aus Wuppertal und Umgebung.

Unter den Toten waren neben Abraham Ernestus auch die aus Barmen stammenden Reservisten Friedrich Bick, von Beruf Bäcker, Sattler Christian Broicher, dessen Frau gerade schwanger war, Bäcker Hermann Brunst, der Marmorarbeiter Peter Kraft, Handlungsgehilfe August Krause und Bandwirker Arthur Karl Kuhn aus Elberfeld sowie Maurergeselle Carl Kinz aus Ronsdorf. Keiner von ihnen war älter als 30.

Wie Christopher Ernestus recherchiert hat, wurden die Leichen in Elberfeld einzeln und zu verschiedenen Zeiten zu Grabe getragen. In Barmen hingegen wurde eine öffentliche Leichenfeier veranstaltet, an der Spitzen der Militär- und Zivilbehörden sowie eine große Menschenmenge teilnahmen.

Die Firma Ernestus existiert noch immer

„Viele Häuser waren mit auf Halbmast gezogenen und schwarz beflorten Fahnen geschmückt. Auf den Wegen zu den Friedhöfen bildeten Tausende Spalier“, berichteten die Zeitungen. In Pelm erinnert seit 1898 ein fünf Meter hoher Gedenkstein an die Tragödie.

Abraham Ernestus senior musste seine Riemendreherei an andere Nachfolger vergeben. Da er vier Töchter und zwei weitere Söhne hatte, führten Ewald und Otto die Firma weiter. Als letztes Familienmitglied schied Wolfgang Ernestus 1989 aus der Gesellschaft aus. Damals befand sich die Produktionsstätte noch immer in der Uellendahler Straße neben dem Wohnhaus der Familie. Obwohl die Firma seitdem nichts mehr mit der Familie zu tun hat, existiert sie unter dem Namen „Ewald & Otto Ernestus GmbH“ noch heute.

Zur Person

Christopher Ernestus ist Diplom-Ingenieur. 16 Jahre lang war er in der Industrie tätig, seit 2004 unterrichtet er Technische Informatik und Elektrotechnik an einem Berufskolleg in Essen. Das Unglück vom Mai 1897 hat er in zwei Aufsätzen aufgearbeitet: in der Dezember-Ausgabe der „Funzel – Mitteilungen des Bergischen Vereins für Familienkunde“ sowie im Jahresheft 2022 „Geschichte im Wuppertal“, das unter anderem vom Bergischen Geschichtsverein herausgegeben wird. Teile der Ausführungen wurden mit freundlicher Genehmigung in den Artikel integriert.

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