Ein Jahr Scholz-Rede

Von wegen Zeitenwende: Auf Pistorius warten noch einige tickende Zeitbomben

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) während seines Besuchs beim Panzerbataillons 203 in Augustdorf
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Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) während seines Besuchs beim Panzerbataillons 203 in Augustdorf.

Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine läutete Kanzler Scholz eine „Zeitenwende“ ein. Was hat sich seit dem 27. Februar 2022 getan?

Berlin – Der Ukraine-Krieg war ein Schock für ganz Europa. Auch in Deutschland war plötzlich alles anders. Deutlich wurde das vor allem am 27. Februar 2022, als Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag ans Rednerpult trat und in den folgenden knapp 30 Minuten die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik auf den Kopf stellte. „Wir erleben eine Zeitenwende“, sagte Scholz drei Tage nach dem vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlenen Einmarsch von Truppen in die Ukraine. „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.“

Doch was hat die vor einem Jahr versprochene Zeitenwende eigentlich verändert? Was ist aus den Ankündigungen des Kanzlers geworden? Steht die Bundeswehr inzwischen besser da? Ein Überblick:

Zeitenwende in Zeitlupe: Schleppende Aufrüstung der Bundeswehr

Am deutlichsten sollte sich die Zeitenwende eigentlich im Umgang mit der Bundeswehr zeigen. So hatte Scholz in seiner Rede ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für bessere Ausstattung angekündigt. Doch die Wirklichkeit sieht bisher anders aus. So musste der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium, Florian Toncar (FDP), kürzlich auf die Anfrage des CDU-Abgeordneten Ingo Gädechens eine ziemlich ernüchternde Antwort geben: „Das Sondervermögen Bundeswehr hat im Haushaltsjahr 2022 keine Mittel verausgabt.“

Das Verteidigungsministerium weist allerdings darauf hin, dass rund 30 Milliarden Euro bereits verplant seien. „Wir sind an die Regularien und Gesetze gebunden und dürfen erst zahlen, wenn die Leistung erbracht ist.“ Damit werde unter anderem die Vollausstattung der Soldaten mit Kleidung, die Bewaffnung von Drohnen und die Beschaffung der US-Tarnkappenjets F-35 finanziert.

Ein Jahr Zeitenwende: Union hält Scholz verpasste Chancen vor

Vielen geht das alles nicht schnell genug. Die von der Zeitenwende besonders Betroffenen ziehen ein Jahr nach der Scholz-Rede jedenfalls eine eher kritische Bilanz. „Für die Soldaten hat sich seitdem noch nichts spürbar verbessert“, sagte der Chef des Bundeswehrverbands, André Wüstner, der Bild am Sonntag. Dies sei zwar in der Kürze der Zeit auch kaum möglich. „Dennoch braucht es mehr Tempo. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte, in der Truppe spürbare Wende, sonst war’s das mit der Zeitenwende.“

Auch die Union bemängelt die Kluft zwischen Ankündigungen und Ergebnissen. „Leider hat die Bundesregierung die Flughöhe schon am Folgetag nicht mehr gehalten“, sagte Unionsfraktionsvize Jens Spahn (CDU) der Neuen Westfälischen. „Der Kanzler bricht seine Versprechen.“ Von dem Bundeswehr-Sondervermögen sei bisher „so gut wie nichts verplant“ worden.

CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter schlug in dieselbe Kerbe. „Die Bundeswehr hat ungeheure Defizite und die Zeitenwende hat bei ihr bislang noch gar nicht begonnen“, sagte Kiesewetter der Augsburger Allgemeinen. „Die Truppe hat ein Jahr verloren und ist nun blanker als Anfang 2022.“ Kiesewetter bezog sich damit auf einen Social-Media-Post von Heeresinspekteur Alfons Mais, der am 24. Februar 2022 geschrieben hatte: „Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da.“

Zeitenwende in Deutschland? Rüstungsbranche steht bereit

Auch die Rüstungsindustrie beschwerte sich bisher mehrfach über die schleppende Auftragsvergabe. Bestellungen von Panzern oder Artillerie gab es bis Anfang 2023 noch nicht. Das lag teilweise daran, dass im vergangenen Jahr zunächst eine vorläufige Haushaltsführung galt, welche die Vergabe von neuen Aufträgen erschwerte. „Es ist bedauerlich, dass es aus dem Sondervermögen bisher nur wenige Bestellungen bei deutschen Unternehmen gab, weil die Politik im letzten Jahr stark mit Haushaltsfragen beschäftigt war, aber es ist nicht zu ändern“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, Hans-Christoph Atzpodien, der Deutschen Presse-Agentur.

Atzpodien rechnet aber in den kommenden Wochen und Monaten mit Bewegung bei der Auftragsvergabe. „Wir sind zuversichtlich, dass wir jetzt in der Breite Aufträge bekommen“. Die Industrie stehe als Partner der Bundeswehr bereit und könne schnell loslegen. „Die Firmen sind hochmotiviert, zumal sie teilweise schon ins unternehmerische Risiko gegangen sind.“

Der Branchenvertreter betonte die Dringlichkeit von Investitionen in die Bundeswehr. „Wir sollten als Gesellschaft die Notwendigkeit erkennen, noch mehr für unsere Sicherheit auszugeben und damit unsere Demokratie und Europa insgesamt zu schützen.“ Der Ukraine-Krieg habe gezeigt, dass der eigene Frieden dringend abgesichert werden müsse.

Schleudersitz im Verteidigungsministerium: Von Scharping über Guttenberg zu Lambrecht

Rudolf Scharping (1998 bis 2002): Als die Ehrenformation der polnischen Armee den Minister im Februar 1999 im polnischen Krakau begrüßte, war Scharpings Welt noch in Ordnung. Doch dann stolperte er über zwei verhängnisvolle Affären. Während nämlich die Bundeswehr kurz vor einem Einsatz in Mazedonien stand, ließ er sich quietschvergnügt mit seiner Lebensgefährtin im Swimmingpool fotografieren. Und auch die dubiosen Deals mit PR-Mann Moritz Hunzinger stießen der SPD sauer auf. Im Juli 2002 wurde Scharping schließlich entlassen.
Rudolf Scharping (1998 bis 2002): Als die Ehrenformation der polnischen Armee den Minister im Februar 1999 im polnischen Krakau begrüßte, war Scharpings Welt noch in Ordnung. Doch dann stolperte er über zwei verhängnisvolle Affären. Während nämlich die Bundeswehr kurz vor einem Einsatz in Mazedonien stand, ließ er sich quietschvergnügt mit seiner Lebensgefährtin Gräfin Pilati im Swimmingpool fotografieren. Und auch die dubiosen Deals mit PR-Mann Moritz Hunzinger stießen der SPD sauer auf. Im Juli 2002 wurde Scharping schließlich entlassen. © Ferdinand Ostrop/dpa
Peter Struck (2002 bis 2005): Der SPD-Politiker machte schon kurz nach seiner Amtsübernahme klar, welche Richtlinien für die Bundeswehr unter seiner Führung gelten sollten. „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, sagte Struck in Bezug auf den Afghanistan-Einsatz. Im Februar 2003 musste er dann nach einem Raketenangriff auf das deutsche Isaf-Camp in Kabul bei nahezu völliger Dunkelheit in einem Schutzraum von Feldjägern abgeschirmt werden.
Peter Struck (2002 bis 2005): Der SPD-Politiker machte schon kurz nach seiner Amtsübernahme klar, welche Richtlinien für die Bundeswehr unter seiner Führung gelten sollten. „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt“, sagte Struck in Bezug auf den Afghanistan-Einsatz. Er bekam das im Februar 2003 am eigenen Leib zu spüren, als er nach einem Raketenangriff auf das deutsche Isaf-Camp in Kabul bei nahezu völliger Dunkelheit in einem Schutzraum von Feldjägern abgeschirmt werden musste.  © Boris Roessler/dpa
Franz Josef Jung (2005 bis 2009): Der CDU-Politiker suchte kurz nach seinem Amtsantritt die Nähe zu den deutschen Soldaten wie zum Beispiel im Dezember 2005, als er im Hafen von Dschibuti auf der Fregatte Lübeck mit ihnen zusammensaß. Die Dienstreise führte ihn später auch nach Kabul, doch von „Krieg“ wollte er im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr lieber nicht reden. Nach dem auf deutschen Befehl hin angeforderten Luftangriff bei Kundus mit zahlreichen zivilen Opfern trat Jung zurück – nachdem er kurz zuvor ins Arbeitsministerium gewechselt war.
Franz Josef Jung (2005 bis 2009): Der CDU-Politiker suchte kurz nach seinem Amtsantritt sofort die Nähe zu den deutschen Soldaten. So zum Beispiel auch im Dezember 2005, als er im Hafen von Dschibuti auf der Fregatte Lübeck mit ihnen zusammensaß. Die Dienstreise führte ihn später bis nach Kabul, doch von einem „Krieg“ wollte er im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr lieber nicht reden. Nach dem auf deutschen Befehl hin angeforderten Luftangriff bei Kundus mit zahlreichen zivilen Opfern trat Jung zurück – nachdem er kurz zuvor ins Arbeitsministerium gewechselt war. © Michael Hanschke/dpa
Karl-Theodor zu Guttenberg (2009 bis 2011): Der CSU-Politiker machte zunächst alles anders als sein Vorgänger. Schon im November 2009 machte er sich in einem Transportflugzeug der Bundeswehr auf den Weg nach Kabul und sprach den Soldaten mit dem Bekenntnis, dass es sich in Afghanistan um ein Krieg handelte, aus dem Herzen. Er schaffte die Wehrpflicht ab und verkleinerte die Truppe. Das Ende kam, als er Plagiate in seiner Doktorarbeit einräumen musste. Am 1. März 2011 erklärte er seinen Rücktritt.
Karl-Theodor zu Guttenberg (2009 bis 2011): Der CSU-Politiker machte zunächst alles anders als sein Vorgänger. Schon im November 2009 machte er sich in einem Transportflugzeug der Bundeswehr auf den Weg nach Kabul und sprach den Soldaten mit dem Bekenntnis, dass es sich in Afghanistan um ein Krieg handelte, aus dem Herzen. Guttenberg schaffte die Wehrpflicht ab und verkleinerte die Truppe. Das Ende kam, als er Plagiate in seiner Doktorarbeit einräumen musste. Am 1. März 2011 erklärte er seinen Rücktritt.  © Michael Kappeler/dpa
Thomas de Maizière (2011 bis 2013): Auch den CDU-Politiker zog es früh nach Afghanistan, wo er per Hubschrauber von Masar-i-Scharif nach Kundus flog, um deutsche Soldaten zu besuchen. Doch es war ein anderes Flugobjekt, das ihm zu schaffen machte. Das Debakel um die viel zu teure Drohne Euro Hawk stellte ihn Anfang 2013 vor unlösbare Probleme. Er wechselte ins Innenressort, wurde nach der 2017 von Kanzlerin Merkel aber nicht wieder ins Kabinett berufen.
Thomas de Maizière (2011 bis 2013): Auch den CDU-Politiker zog es früh nach Afghanistan, wo er per Hubschrauber von Masar-i-Scharif nach Kundus flog, um deutsche Soldaten zu besuchen. Doch es war ein anderes Flugobjekt, das ihm zu schaffen machte. Das Debakel um die viel zu teure Drohne Euro Hawk stellte ihn Anfang 2013 vor unlösbare Probleme. Er wechselte ins Innenressort, wurde nach der Wahl 2017 von Kanzlerin Merkel aber nicht wieder ins Kabinett berufen. © Michael Kappeler/dpa
Ursula von der Leyen (2013 bis 2019): Die CDU-Politikerin war die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Wegen rechter Umtriebe übte sie schwere Kritik an der eigenen Truppe und erkannte ein generelles Problem in der Bundeswehr, der sie ein „Haltungsproblem“, „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ und „falsch verstandenen Korpsgeist“ vorwarf. Ihrer Bindung an die Soldaten dürfte das eher geschadet haben. Eine Berateraffäre führte zu einem Untersuchungsausschuss zu ihrer Amtszeit. Dort musste sie aber erst aussagen, als sie bereits zur EU-Kommissionschefin nach Brüssel befördert worden war.
Ursula von der Leyen (2013 bis 2019): Die CDU-Politikerin war die erste Frau an der Spitze des Verteidigungsministeriums. Wegen rechter Umtriebe übte sie schwere Kritik an der eigenen Truppe und erkannte ein generelles Problem in der Bundeswehr, der sie ein „Haltungsproblem“, „Führungsschwäche auf verschiedenen Ebenen“ und „falsch verstandenen Korpsgeist“ vorwarf. Ihrer Bindung an die Soldaten dürfte das eher geschadet haben. Eine Berateraffäre führte zu einem Untersuchungsausschuss zu ihrer Amtszeit. Dort musste sie aber erst aussagen, als sie bereits zur EU-Kommissionschefin nach Brüssel befördert worden war. © Arne Immanuel Bänsch/dpa
Annegret Kramp-Karrenbauer (2019 bis 2021): Nach von der Leyens Aussage vom „Haltungsproblem“ der Bundeswehr hatte es ihre Nachfolgerin schwer, Vertrauen zur Truppe aufzubauen. Auch unter ihrer Führung litt die Bundeswehr weiter an mangelhafter Ausrüstung. Wegen der Munitionsaffäre beim KSK (Kommando Spezialkräfte) geriet AKK unter Druck. Auch der übereilte Abzug aus Afghanistan nach dem Vormarsch der Taliban fiel in ihre Amtszeit.
Annegret Kramp-Karrenbauer (2019 bis 2021): Nach von der Leyens Aussage vom „Haltungsproblem“ der Bundeswehr hatte es ihre Nachfolgerin schwer, Vertrauen zur Truppe aufzubauen. Auch unter ihrer Führung litt die Bundeswehr weiter an mangelhafter Ausrüstung. Wegen der Munitionsaffäre beim KSK (Kommando Spezialkräfte) geriet AKK unter Druck. Auch der übereilte Abzug aus Afghanistan nach dem Vormarsch der Taliban fiel in ihre Amtszeit. © Christophe Gateau/dpa
Christine Lambrecht (2021 bis 2023): In besseren Zeiten hatte die SPD-Politikerin noch Grund zum Lachen, so zum Beispiel bei ihrem Besuch in Mali, wo sie von Verteidigungsattache Carsten Boos begrüßt wurde. Doch zumeist stand sie unter einem immensen Druck. Vorgeworfen wurden ihr fehlende Sachkenntnis, die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr, aber auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Ein Foto ihres Sohnes, der in einem Hubschrauber der Bundeswehr mitreiste, sorgte ebenfalls für Aufregung. Irritation rief schließlich eine Neujahrsbotschaft hervor, in der sie begleitet von Silvesterfeuerwerk in Berlin über den Ukraine-Krieg sprach.
Christine Lambrecht (2021 bis 2023): In besseren Zeiten hatte die SPD-Politikerin noch Grund zum Lachen, so zum Beispiel bei ihrem Besuch in Mali, wo sie von Verteidigungsattaché Carsten Boos begrüßt wurde. Doch zumeist stand sie unter einem immensen Druck. Vorgeworfen wurden ihr fehlende Sachkenntnis, die schleppend angelaufene Beschaffung für die Bundeswehr, aber auch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Ein Foto ihres Sohnes, der in einem Hubschrauber der Bundeswehr mitreiste, sorgte ebenfalls für Aufregung. Irritation rief schließlich eine Neujahrsbotschaft hervor, in der sie begleitet von Silvesterfeuerwerk in Berlin über den Ukraine-Krieg sprach. © Michael Kappeler/dpa

Zustand der Bundeswehr nach Zeitenwende: Pistorius fordert Aufstockung des Verteidigungshaushaltes

Atzpodien zeigte sich erleichtert, dass im Verteidigungsministerium inzwischen der SPD-Politiker Boris Pistorius das Sagen hat. „Er sucht das Gespräch mit uns und packt die wichtigen Ausrüstungsthemen an.“ In der Partnerschaft zwischen der Bundeswehr und den deutschen Rüstungsfirmen sei ein vertrauensvolles Miteinander wichtig. Das mache auch Pistorius in seiner konstruktiven Art deutlich.

Pistorius selbst kündigte am Sonntag (26. Februar) in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ an, dass die Rüstungsfirmen künftig Abschlagszahlungen für Aufträge erhalten sollen und nicht erst bei Lieferung bezahlt wird. „Das machen wir jetzt in Zukunft. Einfach auch, um zu dokumentieren, dass Geld abfließt“, sagte Pistorius.

Er bekräftigte zudem seine Forderung nach einer Aufstockung des Verteidigungshaushaltes: „Klar ist nur, das muss man in aller Deutlichkeit noch mal unterstreichen, die 100 Milliarden Sondervermögen sind das eine, die werden noch drei Jahre brauchen, bis sie ausgegeben sind“, sagte er. „Und danach wird es aber feststehen, dass wir mehr brauchen. Übrigens auch schon für den laufenden Betrieb.“ Der Etat des Verteidigungsministeriums müsse deutlich wachsen, „weil wir sonst die Aufgaben nicht wahrnehmen können, die es 30 Jahre lang nicht wahrzunehmen galt“.

Ein Jahr Zeitenwende: Pistorius kontra Scholz beim Zwei-Prozent-Ziel

Von der Aufstockung des Verteidigungshaushaltes wird auch abhängen, ob Scholz in absehbarer Zeit das zentrale Versprechen an die Nato-Partner aus seiner Zeitenwende-Rede einhalten kann. „Wir werden von nun an Jahr für Jahr mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in unsere Verteidigung investieren“, sagte er vor einem Jahr. 2022 lag der Anteil nach der offiziellen Nato-Statistik bei 1,44 Prozent. Für das laufende Jahr werden nach internen Berechnungen der Bundesregierung 1,6 Prozent erwartet. Um die zwei Prozent zu erreichen, müsste der Wehretat um 15 auf 65 Milliarden Euro aufgestockt werden.

Scholz hat sein Versprechen bereits etwas relativiert. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz sprach er statt von „mehr als zwei Prozent“ nur noch von einer dauerhaften Anhebung „auf zwei Prozent“. Pistorius sieht das anders. Er werde alle Anstrengungen unternehmen, um über das Ziel von zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes hinauszugehen, hatte der SPD-Politiker schon vor der Konferenz deutlich gemacht. „Klar muss jedem sein: Nur mit knapp zwei Prozent werden die Aufgaben nicht zu erfüllen sein, die vor uns liegen“, so Pistorius. „Jeder von uns würde lieber mehr Geld für andere Dinge ausgeben. Aber die Realität ist so, wie sie ist.“

Auf Pistorius warten ein Jahr nach der Zeitenwende noch „tickende Zeitbomben“

Für seine offenen Worte erhält Pistorius viel Lob. Auch Alexander Müller ist von Pistorius’ bisheriger Arbeit angetan. „Er ist ein Politiker, der klare Ansagen macht, der keine unsinnigen Sätze sagt, der auch auf Fragen antwortet und nicht um den heißen Brei herumredet“, zitierte das US-Magazin Politico den verteidigungspolitischen Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Doch Müller machte auch darauf aufmerksam, dass auf Pistorius noch „einige tickende Zeitbomben“ warten.

Müller nannte drei besondere Herausforderungen: a) anhaltende Qualitätsprobleme beim Schützenpanzer Puma; b) langsame Fortschritte beim Kauf von Ersatz für Militärgüter wie Leopard 2-Panzer, die der Ukraine gespendet wurden; c) die Beschaffung neuer amerikanischer CH-47-Transporthubschrauber, „die viel teurer werden könnte als geplant“.

Pistorius macht trotzdem weiter Druck. So betonte er bei seinem Antrittsbesuch bei der Marine am 21. Februar, dass er dem Inspekteur zugesagt habe, ihn mit ganzer Kraft zu unterstützen, um die Marine auch zukünftig einsatzfähig aufzustellen. „Und dazu gehört auch – ich wiederhole es – eine auskömmliche Finanzausstattung“, sagte Pistorius. Er versprach, sich in der nächsten Zeit damit zu beschäftigen, was beim Sondervermögen in der Umsetzungsliste stehe, was bestellt und beschafft werden soll und welche Bedarfe der Marine berücksichtigt seien.

Gleichzeitig dämpfte er zu hohe Erwartungen an kurzfristige Beschaffungen und Modernisierungen. „Das Sondervermögen mit den 100 Milliarden Euro plus dem Einzelplan, den wir haben, kann nicht in zwei, drei Jahren ausgleichen, was über 30 Jahre aus nahe liegenden Gründen nicht investiert worden ist.“ Deswegen müsse man Prioritäten setzen. An Lösungen werde gearbeitet, versprach er. (Christian Stör/dpa)

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