„Vertane Chance“

49-Euro-Ticket: Verkehrs-Experte ist sich sicher – „Wir brauchen das nicht“

Zum 1. Mai kommt der Nachfolger des 9-Euro-Tickets: das 49-Euro-Ticket. Es soll mehr Menschen in den öffentlichen Verkehr locken. Doch ein Experte hat seine Zweifel.

Berlin – Das Deutschlandticket – im Volksmund wegen seines Preises auch 49-Euro-Ticket genannt – kommt. Es beerbt das 9-Euro-Ticket, das im Sommer 2022 drei Monate lang den öffentlichen Nahverkehr so günstig machte wie noch nie. „An den Erfolg dieser zeitlich befristeten Aktion soll das Deutschlandticket als dauerhaftes Angebot nun anknüpfen“, schreibt die Bundesregierung auf einer Infoseite. „Dauerhaft“ heißt in dem Fall: zunächst zwei Jahre. So lange wollen Bund und Länder das Geld bereitstellen. Ob der Preis dauerhaft bei 49 Euro bleibt, ist unklar.

Die Politik verspricht sich vom Deutschlandticket viel: Es soll die Bürger finanziell entlasten. Es soll den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) erschwinglicher und damit attraktiver machen. Es soll Menschen dazu anregen, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen. Und es soll so dazu beitragen, die Klimaziele zu erreichen.

Ob das Deutschlandticket dafür die richtige Maßnahme ist, daran äußert Christian Böttger im Interview mit der Frankfurter Rundschau von IPPEN.MEDIA Zweifel. Er ist Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und forscht zum Verkehrswesen. Schon nach dem 9-Euro-Ticket zog er eine bittere Bilanz. Dennoch hat er seine Bahncard 100 gekündigt und will sich das Ticket kaufen.

Verkehrs-Experte: 49-Euro-Ticket kommt vor allem Wohlhabenden zugute

Herr Böttger, brauchen wir wirklich ein 49-Euro-Ticket?
Nein, wir brauchen es nicht. Ich halte es für unvernünftig. Es wird unglaublich viel Geld kosten, das man dringender für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht. Derzeit fließen zwei Milliarden Euro im Jahr in den Ausbau des Schienennetzes. Für das 49-Euro-Ticket wollen Bund und Länder 4,7 Mrd. € jährlich bereitstellen – mehr als doppelt so viel wie für den Ausbau. Und man verzichtet auf Einnahmen von Leuten, die heute schon bereit sind, mehr als die 49 Euro zu zahlen. Das Ticket ist auch nicht besonders sozial gerecht: Die größten Profiteure sind Fernpendler und die Leute in den Vorstädten.
Warum?
Die größten Gewinner sind die Leute im Speckgürtel, also eher die Wohlhabenden. Für die ist das ein gutes Paket: Ich kann mir ein eigenes Einfamilienhaus mit Garten leisten, dafür pendle ich dann eben morgens, auch wenn die Monatskarte 150 Euro kostet. Genau die, die diese Zahlungsbereitschaft sowieso haben, werden nun entlastet. Meine Putzfrau in Berlin hingegen wird kaum etwas merken. Die zahlt jetzt 60 Euro und wird dann 50 zahlen, die hat kaum etwas davon. In kleineren Städten kostet eine Monatskarte heute schon weniger als 50 Euro, für die Leute dort ist es also gar nicht interessant. Das geht vom Thema Mobilität und Regionalentwicklung in die komplett falsche Richtung.
Ein Vorteil des 49-Euro-Tickets soll immerhin die Vereinfachung der Ticketstrukturen sein.
Es stimmt, dass wir komplizierte Ticketstrukturen haben, und man sollte hinterfragen, ob man das nicht vereinfachen kann. Ich sehe allerdings nicht, dass für die Mehrheit der Fahrgäste das 49-Euro-Ticket viel Vereinfachung bringt. Besonders absurd ist, dass das 49-Euro-Ticket noch nicht mal eingeführt ist, aber die Länder schon an Sonderlösungen denken, die wieder die Komplexität erhöhen: Berlin will zum Beispiel ein 29-Euro-Ticket für alle anbieten, andere Länder oder Verbünde planen günstigere Angebote für Junge und Alte oder Sozialtickets. Die angebliche Vereinfachung wird so nicht erreicht. Insofern ist das 49-Euro-Ticket auch eine vertane Chance.
Professor Christian Böttger arbeitet an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.

Experte zu 49-Euro-Ticket: „Besonders Pendlerstrecken in die Großstädte überlastet“

Wenn man das Geld statt in das Deutschlandticket in den Ausbau der Schiene stecken würde, kämen dann die Kunden von alleine?
Nein, vereinfacht kann man das so sagen. Man muss immer um Kunden kämpfen. Der ÖPNV hat seit Corona Kunden verloren. Trotzdem sind Teile des Netzes überlastet, insbesondere die Pendlerstrecken in die Großstädte. Deshalb macht es keinen Sinn, da mit Preismaßnahmen zu arbeiten, wo man keine zusätzlichen Leute mitnehmen kann. Da, wo es freie Kapazitäten gibt, ist das Angebot nicht so attraktiv, dass man mit niedrigeren Preisen viel mehr Kunden gewinnt. Deswegen sehe ich den Verlagerungseffekt nicht. Darüber hinaus höre ich immer wieder Schilderung, dass durch das 9-Euro-Ticket Stammkunden aufs Auto umgestiegen sind, weil sie nicht in die überfüllten Züge reingekommen sind.
Diese teils chaotischen Zustände in der Zeit des 9-Euro-Tickets: Können Fahrgäste hoffen, dass sich in der Zwischenzeit etwas verändert hat?
Das neue Ticket wurde extra so designt, dass es die dramatischen Probleme der Überlastung nicht mehr geben soll. Deshalb ist es ein Abo und auch teurer als das 9-Euro-Ticket. Es ist also nicht mehr so, dass sich Rentner morgens am Bahnhof treffen und sagen „Wir kaufen uns heute ein 9-Euro-Ticket, wo fahren wir denn mal hin?“ Die Überlastungen der Strecken in die Ferienregionen wird es nicht in der Dramatik des Vorjahres geben. Aber es wird in den kommenden Jahren auch keine ernsthaften Kapazitätsausweitungen geben. Selbst wenn mehr Geld zur Verfügung gestellt würde, ist es unmöglich, kurzfristig neu zu bauen. Selbst wenn ich mehr Züge habe, gibt es keinen Platz mehr auf den Schienen. Wir müssen die nächsten zehn Jahre mit dem bestehenden Netz leben. Das ist eine Fehlentwicklung der letzten 20 Jahre.

49-Euro-Ticket: Nicht geeignet für Verkehrswende, laut Experte

Wie könnte man den Verkehr denn stattdessen vom Auto auf die Schiene verlagern?
Städte, die erfolgreich Verkehr verlagert haben, haben das nicht über Preismaßnahmen gemacht. Die haben sich vielmehr darum gekümmert, den Nahverkehr auszubauen, das Auto aus den Städten zurückzudrängen, und dann die Verlagerung gegebenenfalls noch mit Preismaßnahmen unterstützt. Aus der Schweiz gibt es Kopfschütteln für das 49-Euro-Ticket, dort hält man es für unsinnig, die Preise für Mobilität zu senken. 
Sie sehen im 49-Euro-Ticket also kein probates Mittel, um die Verkehrswende voranzutreiben?
Nein, überhaupt nicht. Es ist weder verkehrspolitisch noch ökonomisch noch sozial eine sinnvolle Maßnahme. Das Schlimme ist, dass es schwer sein wird, das Ticket wieder abzuschaffen. Bürgern etwas wegzunehmen und zu sagen: „Ihr müsst jetzt mehr bezahlen“, das ist politisch extrem unpopulär.
Wie kann der öffentliche Verkehr denn unabhängig von Flatrate-Angeboten attraktiver werden?
Ich finde es richtig, dass man den Individualverkehr aus den Innenstädten zurückdrängen will. Aber das wird nur gelingen, wenn zugleich attraktive Alternativen geschaffen werden. Wien ist ein gutes Beispiel. Dort wurde der ÖPNV deutlich ausgebaut, erst dann wurden in der Innenstadt Durchfahrtstraßen gesperrt und Parkplätze verknappt. Das Ganze wurde flankiert von einem günstigeren Ticketangebot. Autofahrer zu ärgern und zu behindern, ist keine durchdachte Verkehrspolitik. Die Verkehrswende benötigt Akzeptanz bei einer Mehrheit der Bürger.

Rubriklistenbild: © Hannes P. Albert/dpa

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