Minister äußert sich zur Wehrpflicht
Pistorius geißelt bei „Lanz“ Wagenknechts „Manifest“: „Spiel mit dem Feuer“
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Markus Lanz hat dieses Mal bloß einen Gast: Minister Boris Pistorius spricht über die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und auch über die Rolle Chinas.
Hamburg - „Da entsteht eine neue harte Grenze, das sieht ganz danach aus.“ Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht bei „Markus Lanz“ über die geopolitischen Folgen des Ukraines-Kriegs in Europa. Die Bundeswehr stütze derzeit die osteuropäischen Grenzen, so wie es im Kalten Krieg die Alliierten in Deutschland getan hätten. Die Folgen seien dieselben - eine Abschottung gen Osten.
Der Minister ist zum Einzelgespräch im Polit-Talk bei Markus Lanz geladen. Fast zeitgleich sitzt bei Talk-Konkurrentin Sandra Maischberger im Ersten Kiews Bürgermeister Wladimir Klitschko.
„Markus Lanz“ - diese Gäste diskutierten mit:
- Boris Pistorius (SPD) - Bundesverteidigungsminister
Markus Lanz scheint gut vorbereitet, versucht es zum Einstieg mit Schmeichelei - „Sie sind derzeit Deutschlands beliebtester Politiker!“ - und lässt sich vom Bundesverteidigungsminister nicht abwimmeln. Auch Pistorius ist gewappnet und macht deutlich, dass er vor dem Interview eigene Grenzen gesetzt hat. Zum Beispiel nicht über Sahra Wagenknecht zu sprechen. Schließlich macht er es doch, wohl weil Lanz nicht lockerlässt.
Für das NATO-Bündnis muss Deutschland ab 2024 jährlich 77 Milliarden Euro aufbringen
Lanz schaut Pistorius in die Bücher, will wissen, wie viele Panzer nun letztendlich in der Ukraine ankommen. Pistorius überschlägt, kommt insgesamt europaweit auf rund 300 Kampfpanzer, vom Typ Leopard, aber auch britische Challenger und US-amerikanische Modelle. Lanz setzt die Zahl mit der Bewaffnung auf der anderen Seite ins Verhältnis: „Wie viele haben die Russen?“, setzt der Moderator an und beantwortet die Frage, als Pistorius die Achseln zuckt, selbst: „3.000“. Zusätzlich würden „in Sibirien 4.000 weitere warten“, weiß Lanz. Pistorius wischt den Einwurf vom Tisch: Das seien „sehr, sehr alte Modelle“, befindet der Minister, „allein die schiere Masse macht es nicht!“. Pistorius mahnt zum Optimismus: „Sonst hätte die Ukraine ja gar keine Chance!“
Die von Lanz immer wieder gestellte Frage „Wie lange könnten wir unser Land verteidigen?“ blockt der Niedersachse Pistorius ab: „Die Frage beantworte ich ihnen nicht!“, betont er gleich mehrfach. Lanz pirscht sich dennoch in kleinen Schritten an die Informationen ran. „Wie lange würde die Munition im Kriegsfall reichen?“, will er wissen. Und Pistorius antwortet schließlich: „Kein einziges Land in Europa“ könne derzeit alleine mehr als „30 Tage“ durchhalten.
Doch nicht alle Länder würden „gleichzeitig“ angegriffen. Eine gegenseitige Unterstützung sei eingerechnet - die Verteidigung Europas sei eine Pflicht des NATO-Bündnisses, besänftigt Pistorius den scheinbar aufgebrachten Moderator. Doch diese Verteidigung koste auch ordentlich. Deutschland müsste ab 2024 jährlich 77 Milliarden Euro aufbringen - statt wie bisher 50 Milliarden. Die Erhöhung könne nur schrittweise erfolgen. Pistorius fordert fürs nächste Jahr eine Etaterhöhung von zehn Milliarden Euro. Das sorgte in der Ampel-Koalition zuletzt für Streit.
Pistorius bei „Lanz“: Die Aussetzung der Wehrpflicht war ein Fehler
„Was ist mit der Wehrpflicht?“, steuert Lanz das nächste heiße Eisen an. Der verpflichtende Dienst zur Verteidigung oder der soziale Ersatzdienst war 55 Jahre Gesetz für alle jungen Männer im Nachkriegsdeutschland. 2011 beschloss der Deutsche Bundestag die Aussetzung der Wehrpflicht.
Pistorius befindet bei Lanz: „Die Aufhebung war ein Fehler.“ Er gesteht aber gleichzeitig, es wäre derzeit zu „aufwändig“ und „teuer“, sie wieder zu aktivieren. Pistorius hält auch Diskussionen in der Gesellschaft für notwendig. Soll die Wehrpflicht wieder aktiviert werden? Welche Dauer sollte eine Dienstpflicht haben? Das seien Fragen, auf die es noch keine Antworten gebe.
Es würde an Kasernen, Ausstattung, Infrastruktur und Personal fehlen, weiß der Minister. Man habe sich zu lange nicht „um die Landesverteidigung gekümmert“, so Pistorius weiter - weil es vor einem Jahrzehnt noch schien, „als wäre es nicht mehr notwendig“. Vieles sei damals abgeschafft worden, was nun teuer neu beschafft werden müsse.
Mehr Sorgen machen Pistorius dagegen mögliche Entwicklungen in den USA, die dazu führen könnten, dass der NATO-Partner sein Engagement in Europa verringert und den Schwerpunkt nach Südostasien verlegt. Auch die Ankündigung des US-amerikanischen Außenministers Antony Blinken, der eine Waffenlieferungen der Chinesen an Russland auf der Münchner Sicherheitskonferenz befürchtete, sieht Pistorius als „deutliche Ansage“, aber auch als „Gefahr“. Er macht deutlich: „Das wäre eine neue Lage, das hätte eine neue Dimension.“ Dennoch befindet der Verteidigungsminister: „Auf die USA war immer Verlass.“
China und der Ukraine-Krieg: Pistorius äußert im ZDF Hoffnung
Einen möglichen Friedensplan der Chinesen hält Pistorius aber nicht für gänzlich ausgeschlossen. Es wäre gut, wenn jetzt „klare Zeichen“ gesetzt und „konkrete Vorschläge“ unterbreitet würden, meint er. Vor allem eine deutliche „Abkehr von Atomwaffen“ wäre wünschenswert, so der Minister und appelliert zum Durchhalten - auch im Hinblick auf das „Manifest für den Frieden“, das unter anderen die Linke-Politikerin Sahra Wagenknecht verfasst hatte.
Er selbst sei für den Frieden, so der Minister und erinnert an den „Westfälischen Frieden“ der in seiner Geburtsstadt Osnabrück zum Ende des 30-jährigen Kriegs im Jahr 1648 geschlossen wurde. Doch ein Zeitpunkt für eine Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen sei noch nicht zu erkennen. Pistorius abschließend: „Es bleibt leider im Augenblick nichts anderes übrig, wenn wir die Ukraine nicht im Stich lassen wollen.“ Die Argumentation Wagenknechts, so Pistorius, sei ein „Spiel mit dem Feuer.“
Beim Thema Kampfjets versichert Pistorius: Deutschland könne sich bei dem Thema „ein wenig zurücklehnen“, weil wir „die von der Ukraine geforderten Kampfjets“ nicht „haben und auch nicht fliegen“. Allerdings stellt er die Loyalität bei einer Lieferung beispielsweise der USA außer Frage: „Wenn Nationen, die diese Kampfjets haben, sich für eine Lieferung entscheiden, haben wir das mitzutragen.“
Fazit des „Markus Lanz“-Talks
Boris Pistorius wirkt auch bei Markus Lanz wie der gute Mann am richtigen Platz zur richtigen Stunde. Der neue Verteidigungsminister scheint seinem Amt gewachsen zu seinen und sogar Erfüllung an der schwierigen und verantwortungsvollen Aufgabe gefunden zu haben. (Verena Schulemann)