Interview der Woche
Gunnarsson: Ein Isländer wird zum bergischen Jung
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Gespräch: Nach elf Jahren beim Handball-Bundesligisten Bergischer HC beendet der Rechtsaußen im Sommer seine Karriere
Von Thomas Schulz
Herr Gunnarsson, warum haben Sie bei der kürzlich beendeten WM gefehlt?
Arnor Gunnarsson: Ich habe mich im Dezember 2021 entschieden, in der Nationalmannschaft aufzuhören und war auch bei der EM 2022 schon nicht mehr dabei. Bei der WM 2021 in Ägypten hatte ich gemerkt, dass der intensive Rhythmus eines Turniers für mich langsam schwer wird. Jeden zweiten Tag ein Spiel war mir einfach zu viel, zumal ich ein wenig Probleme mit der rechten Hüfte habe. Also bin ich ehrlich zum Trainer gewesen. Ich sagte ihm, dass ich denke, auf diesem Niveau nicht mehr richtig helfen zu können und es besser wäre, er würde einen jüngeren sowie frischeren Rechtsaußen suchen. Dass ich bei dieser WM dann die Kapitänsbinde tragen durfte, habe ich als große Ehre empfunden.
Island hat in diesem Jahr das WM-Viertelfinale knapp verpasst. Enttäuscht oder entsprechen die Plätze zehn bis zwölf aktuell dem Leistungsvermögen?
Gunnarsson: Ich war schon etwas enttäuscht. Die Spieler besitzen in starken Ligen wie Deutschland oder Frankreich bei großen Vereinen tragende Rollen. Andererseits haben wir eigentlich auch nur die letzten 15 Minuten gegen Ungarn verpatzt. Da lagen wir mit sechs Treffern vorne, haben jedoch 28:30 verloren. Und bei einer WM reicht dann eben bereits eine solche schwache Phase, um das Ziel zu verfehlen. Aber diese Mannschaft hat eine gute Altersstruktur. Sie kann in den nächsten Jahren viel erreichen, vielleicht ja schon bei der EM 2024.
Die steigt in Deutschland. Wie analysieren Sie den fünften Platz des DHB-Teams?
Gunnarsson: Vor dem Turnier war ich etwas skeptisch, aber dann hat mich die deutsche Mannschaft positiv überrascht. Das ist ein junger und interessanter Kader mit starken Torhütern. Zudem macht es Trainer Alfred Gislason gut. Beim THW Kiel hat er ja doch mit sehr erfahrenen Akteuren gearbeitet – beim DHB beweist er nun, dass er dies auch mit jungen Spielern gut kann.
Gislason ist wie Sie Isländer. Kennen Sie ihn näher?
Gunnarsson: Richtigen Kontakt gibt es nicht. Nach Spielen mit dem BHC gegen Kiel haben wir meist kurz gesprochen, da kam er immer super rüber. Mein Vater allerdings hat oft gegen ihn gespielt. Unsere Familie kommt aus der gleichen Stadt wie Alfred. Akureyri liegt im Norden von Island und besitzt zwei Handball-Vereine. Mein Vater war bei Thor und Alfred bei KA, diese Derbys sind immer etwas Besonderes.
Besonders war im vergangenen Sommer auch der Wechsel auf der Trainerbank des BHC. Nach zehn Jahren Sebastian Hinze kam Jamal Naji. Wie charakterisieren Sie ihn?
Gunnarsson: Für die meisten Spieler bei uns ist das eine Umstellung gewesen, ich zum Beispiel habe mit Sebastian Hinze zehn Jahre zusammengearbeitet. Wir haben eine sehr gute Verbindung und telefonieren auch weiterhin regelmäßig miteinander. Jamal Naji ist sieben Jahre jünger und lernt noch, aber das schnell und richtig gut. Er hat unheimlich viel Ahnung vom Handball und weiß ganz genau, was er will. Ihm war auch klar, dass die ersten Monate etwas holprig werden könnten. Aber er ist geduldig geblieben und hat sich wie wir keinerlei Stress gemacht.
Wie bewerten Sie so den bisherigen Saison-Verlauf?
Gunnarsson: Die ersten Monate waren nicht ganz so einfach. Neue Trainer bedeuten eben immer auch neue Ideen, zudem hatten wir in einigen knappen Spielen Pech. So war es Ende Oktober mit 4:14 Punkten schon ein ganz klein wenig hektisch, aber seit dem Sieg gegen Wetzlar Anfang November geht es bergauf. Seitdem haben wir 12:4 Zähler geholt. Ich merke, dass wir jetzt da sind – in der Form, die Jamal möchte. Seine Ideen sind nun in unseren Köpfen und ich finde, wir haben in den zwei Monaten vor der WM teilweise echt überragend gespielt.
Die Abstiegszone ist ebenso zehn Punkte entfernt wie ein Europapokal-Platz. Was sind denn jetzt noch die Ziele für diese Saison?
Gunnarsson: Wir wollen uns weiter entwickeln. Wenn der Trainer eine neue Idee hat, dann müssen wir sie jetzt sofort umsetzen können. Wir möchten von Spiel zu Spiel besser werden und in der Tabelle eine schöne Platzierung erreichen. Das sind die Ziele für diese Saison, nächste Saison können wir dann schon über etwas anderes sprechen. Denn dann hat die Mannschaft die Ideen des Trainers im Griff. Sie kann in Abwehr wie Angriff schneller noch bessere Lösungen finden und so für einen weiteren Sprung sorgen.
Beim zweiten Schritt werden Sie allerdings nur noch von außen zusehen, am Ende dieser Saison beenden Sie ihre aktive Karriere. Wie ist das Gefühl, wenn man weiß: Noch 17 Spiele und dann ist Schluss?
Gunnarsson: Ganz ehrlich – es ist ein komisches Gefühl. Ich habe mit vier Jahren bei Thor Akureyri mein erstes Training gemacht, jetzt bin ich 35. Seit 2006 spiele ich als Profi – erst vier Jahre bei Valur Reykjavik, danach zwei beim TVB Stuttgart, dann elf beim BHC. Da macht mich der Abschied von der „Platte“ schon etwas traurig, aber irgendwann ist eben Schluss. Allerdings blicke ich auch recht zufrieden zurück. Ich glaube schon, dass ich viel erreicht habe. Ich habe Länderspiele bestritten und in der Bundesliga Karriere gemacht. Das ist in einer derart starken Spielklasse nicht einfach, dafür muss in jeder Vorbereitung und in jedem Spiel sehr hart gearbeitet werden. Ich bin schon stolz darauf, wie lange ich als Ausländer bleiben konnte.
Von Stuttgart folgte der Wechsel zum BHC. Warum hat Sie diese Aufgabe gereizt?
Gunnarsson: Im Februar 2012 hat mich mein Berater über das Angebot des BHC informiert. Geschäftsführer Jörg Föste und Manager Stefan Adam haben mir dann ein Konzept des Vereins für die nächsten Jahre präsentiert, welches ich interessant fand. Es war zu diesem Zeitpunkt zwar klar, dass der BHC absteigen würde, aber dieses Konzept für die Rückkehr in die Bundesliga und den weiteren Weg hat mich überzeugt. Als ich dann im Juli kam, hatte Sebastian Hinze mit gerade einmal 33 Jahren das Trainer-Amt von Hans-Dieter Schmitz übernommen, zudem wurde Viktor Szilagyi geholt. Wir hatten eine richtig gute Mannschaft und sind auch souverän aufgestiegen. Da hatte ich meinen Traum von der Bundesliga verwirklicht.
2017 gab es mit dem unnötigen Abstieg einen Rückschlag. Sie aber waren inzwischen im Bergischen Land derart heimisch geworden, dass sie dennoch geblieben sind.
Gunnarsson: Der Verein hatte klar kommuniziert, dass es sofort wieder hochgehen wird. Dafür wurden unter anderen Max Darj und Linus Arnesson verpflichtet. Ich habe gespürt, dass das Konzept nochmal besser geworden war. Dass inzwischen richtig gute Spieler geholt werden konnten. Da habe ich gesagt, ich bleibe. Ich will zurück in die Bundesliga und zwar mit dem BHC. Das hat dann auch geklappt, und ich bin froh, mich damals so entschieden zu haben. Aber ja – es ist auch richtig, dass wir uns im Bergischen heimisch fühlen. Unsere Tochter ist in Solingen zur Welt gekommen, unser Sohn in Hilden. Wenn ich sehe, dass meine Familie sich freut, hier zu leben, dann freue auch ich mich. Das ist das Wichtigste, selbst wenn hier es öfter regnet (lacht).
Und deshalb bleiben Sie auch nach dem Karriere-Ende erstmal beim BHC?
Gunnarsson: Ich hatte ein Gespräch mit Jörg Föste. Er möchte, dass ich ins Trainer-Team einsteige, und das mache ich sehr gerne. Ich soll mit den Flügelspielern arbeiten, in Skandinavien Scouting betreiben und für Jamal Naji Video-Analysen erstellen. Das passt prima, weil ich später in diese Richtung tendiere. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren die A-Lizenz sowie den Master-Coach bestanden. Ich könnte jetzt nicht nur in der Bundesliga, sondern auch in der Champions League oder Nationalmannschaften trainieren. Doch für mich ist wichtig, nicht sofort irgendwo als Chef einzusteigen, sondern zunächst zu lernen. Denn Diplome bekommen oder eine Mannschaft anzuleiten, sind zwei völlig unterschiedliche Paar Schuhe. Als Trainer musst Du Dinge erkennen, die Du als Spieler nie gesehen hast. Insofern freue ich mich auf mein neues Aufgabengebiet.
Zur Person
Arnor Thor Gunnarsson wurde am 23. Oktober 1987 in Akureyri (Island) geboren und spielt seit 2012 Handball für den Bergischen HC. Für die Löwen erzielte der Rechtsaußen 1459 Treffer. Zudem bestritt Gunnarsson für Island 120 Länderspiele und führte das Nationalteam bei der WM 2021 als Kapitän aufs Feld. Am Sonntag empfängt der BHC in der Bundesliga die MT Melsungen zum nächsten Spiel (16.05 Uhr).