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Ismet Can Agadakmaz: „Alle haben weiterhin riesige Angst“
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Interview der Woche mit Fußballer Ismet Can Agadakmaz, der beim Türkei-Erdbeben Teile seiner Familie verlor.
Von Fabian Herzog
Die wichtigste Frage vorab: Wie geht es Ihnen?
Ismet Can Agadakmaz: Danke, momentan geht´s mir ein bisschen besser. Aber in den letzten Wochen ging es mir tatsächlich richtig schlecht.
Bei den schlimmen Erdbeben im Südosten der Türkei Anfang Februar haben Sie mehrere Familienmitglieder verloren. Wie haben Sie das erlebt und wann haben Sie davon erfahren?
Agadakmaz: An dem Montagmorgen wollte ich eigentlich wie immer um 5.30 Uhr aufstehen, um zur Arbeit zu gehen. Ich wurde dann aber davon wach, dass meine Schwester und meine Mutter geweint haben. Das war so um 4.30 Uhr. Als ich gehört habe, was passiert ist, war ich echt geschockt. Zuerst habe ich mir aber nichts dabei gedacht, weil ich selbst in dort in der Türkei schon mal ein kleineres Beben erlebt habe. Das ist sechs oder sieben Jahre her. Als mir dann aber das Ausmaß bewusst wurde, haben wir versucht, Kontakt zu unseren Familienmitgliedern aufzunehmen. Aber das war unmöglich, weil es dort zunächst weder Strom noch ein Handynetz gab. Irgendwann haben wir dann erfahren, dass meine Oma, mein Onkel, meine Tante, mein Cousin und ein paar Cousins von meinem Vater noch unter den Trümmern liegen.
Schrecklich. Wie haben Sie reagiert?
Agadakmaz: Am dritten Tag haben wir erfahren, dass meine Oma gerettet wurde. Das hat uns Hoffnung gegeben, dass die anderen auch überleben könnten. Aber die lagen leider sieben Tage lang unter den Trümmern und sind gestorben. Also insgesamt sechs Menschen, darunter mein Lieblingscousin.
Wo genau haben die gelebt?
Agadakmaz: In Hatay, der südlichsten Provinz der Türkei direkt am Mittelmeer. Für mich ist das auch meine Heimat, obwohl ich in Remscheid geboren und aufgewachsen bin. Aber ich war bis jetzt jedes Jahr dort.
Auch vor wenigen Tagen.
Agadakmaz: Ich bin mit meiner Mutter runtergefahren, um nach meiner Oma zu suchen. Nachdem sie gerettet worden war, wurde sie in ein Krankenhaus gebracht. Wir wussten aber erst einmal nicht, in welches. Deswegen haben wir eine Woche lang nach ihr gesucht, ehe wir erfahren haben, dass sie in Istanbul ist. Dort hab ich sie dann mit meiner Mutter besucht. Ihr ging es aber wirklich nicht gut. Sie ist 85 Jahre alt, konnte abends immer noch nicht schlafen und hat auch heute noch ein Trauma.
Welchen Eindruck haben Sie von der Stadt gewonnen, in der Ihre Familie gelebt hat?
Agadakmaz: Es war schlimm. Unsere Heimatstadt gibt es nur noch zu 20 Prozent. Deswegen ist der Rest meiner Familie, der überlebt hat, nach Ankara geflüchtet. Auch, weil es in Hatay immer noch kleinere Nachbeben gibt. Es scheint irgendwie nicht aufzuhören. Deswegen haben alle weiterhin riesige Angst.
Die Anteilnahme, auch in Remscheid, war sehr groß. Wie haben Sie das persönlich wahrgenommen?
Agadakmaz: Bevor ich in die Türkei gefahren bin, waren Freunde, Familie und Bekannte jeden Tag bei uns zu Hause, um uns zu unterstützen. Unser Haus war nie leer. Das hat uns geholfen. Ich habe dann in meinem privaten Umfeld auch Spenden gesammelt. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle auch bedanken. Alles, was ich bekommen habe, habe ich an meine Familienmitglieder weitergegeben. Denn die haben alles verloren.
Welchen Einfluss hatten die schlimmen Ereignisse auf Ihren Alltag?
Agadakmaz: Mein Arbeitgeber, die Firma Lacura in Wermelskirchen, war sehr verständnisvoll und hat mich zwei Wochen lang freigestellt. Auch Ayyildiz hat es mir überlassen, ob ich weiter zum Training oder den Spielen komme. Aber das wollte ich. Denn der Fußball hat mir geholfen, den Kopf auch mal wieder freizubekommen. Auch die Benefizspiele gegen den SV 09/35 Wermelskirchen und den FC Remscheid haben mir gutgetan.
Womit wir beim Sportlichen und der zum Abschluss unwichtigsten Frage des Interviews angekommen sind: Wie ordnen Sie die Situation mit Ayyildiz im Kampf um den Klassenerhalt in der Bezirksliga ein?
Agadakmaz: Ich muss sagen, ich bin positiv von der Mannschaft überrascht und glaube auch nicht, dass wir absteigen werden. Dafür haben wir ein zu starkes Team. Auch jetzt im Winter haben wir noch mal gute Spieler dazubekommen. Und dass uns andere verlassen haben, war kein Rückschlag für uns.
Zur Person
Ismet Can Agadakmaz wurde am 5. Juni 1999 in Remscheid geboren, wo er mit seinen Eltern, seinem Bruder Ishak (20) und seiner Schwester Hacer (26) lebt. Als Fußballer ist er bei der 1. Spvg. großgeworden und hat schon für den VfL Leverkusen, TSV Ronsdorf, FC Remscheid, ASV Wuppertal, Dabringhauser TV und bis Sommer 2022 beim VfB Marathon gespielt.