Kindern ein Zuhause geben
Stadt sucht dringend Pflegefamilien
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Familien, Paare und Alleinstehende können Kinder aufnehmen. Betreut werden sie vom Jugendamt.
Von Anja Carolina Siebel
Wermelskirchen. Michel ist kein Kind wie die meisten seiner Altersklasse. Der Sechsjährige ist oft unsicher, das lässt ihn auch manchmal aggressiv und wütend werden. „Aber das hat sich schon sehr gebessert; langsam kommt er bei uns an“, betont Sascha G. (Name von der Redaktion geändert).
Er und seine Frau Silke haben sich entschieden, als professionelle Erziehungsstelle für Pflegekind Michel zu sorgen. Voraussetzung dafür ist, dass einer der Erziehungsberechtigten eine pädagogische Ausbildung hat. Die hat Sascha G. vor gut drei Jahren abgeschlossen. Kurz darauf kam Michel in die Großfamilie – die Eltern haben fünf eigene Kinder, von denen drei noch im elterlichen Haus in Wermelskirchen wohnen. „Michel war in seiner Kernfamilie stark vernachlässigt worden“, erzählt Silke G. „Vor allem emotional. Er konnte nicht entspannen, hatte kein Vertrauen und war sowohl motorisch als auch sprachlich stark entwicklungsverzögert“.
Familien wie die G's sucht das Wermelskirchener Jugendamt dringend. Weil der Bedarf an Pflegestellen nach der Corona-Pandemie wieder enorm gewachsen ist. „Das müssen allerdings keine Erziehungsstellen mit professionellen Pädagogen oder Erziehern sein“, betont Christine Daun, Sachgebietsleiterin Erzieherische Hilfen beim Jugendamt. „Viel mehr suchen wir Pflegefamilien, die dauerhaft ein Kind bei sich aufnehmen, aber auch Bereitschaftspflegen, die als Pflegestelle spontan ein Kind in Notsituation aufnehmen können.
Die meisten Eltern geben das Kind nicht freiwillig ab
Es gebe verschiedene Gründe, warum vor allem kleine Kinder für einen gewissen Zeitraum nicht mehr in der eigenen Familie leben können. Beispielsweise, weil eine alleinerziehende Mutter ins Krankenhaus muss, oder ein Elternpaar nach einem schweren Schicksalsschlag nicht in der Lage ist, das Kind adäquat zu versorgen. „Wir kennen keine Kernfamilie, in der den Eltern es egal ist, dass sie ihr Kind weggeben müssen“, betont Daun.
42 Pflegefamilien gibt es zurzeit in Wermelskirchen; davon 36, die ein Kind in Dauerpflege betreuen, und sechs, die als Bereitschaftspflege arbeiten. In den vergangenen zwölf Monaten wurden durch das Jugendamt Wermelskirchen 16 Kinder im Rahmen der Bereitschaftspflege untergebracht. Drei Kinder wurden in dieser Zeit in ein Dauerpflegeverhältnis übergeleitet. Die Altersspanne der Kinder und Jugendlichen liegt zwischen zwei Monaten und 20 Jahren.
„In der Regel sind es aber vor allem jüngere Kinder bis zum Grundschulalter, für die es besonders wichtig ist, in einer Pflegefamilie untergebracht zu werden“, sagt Christine Daun. Am günstigsten sei es, wenn das Pflegekind das jüngste der Familie ist. So ist es auch bei Familie G. Die Söhne, die noch im elterlichen Haus leben, sind 18, 17 und 22. „Wir haben das mit ihnen vorher besprochen“, berichtet Silke G. „Auch sie mussten ja einverstanden sein, dass Michel jetzt zu unserer Familie gehört.“
Nicht immer sei absehbar, wie lange die Dauer des Pflegeverhältnisses wirklich sein würde, sagt Christine Daun. Deshalb würden viele Kinder zunächst in einem Bereitschaftspflegeverhältnis untergebracht. Erst, wenn sich die Situation in der Herkunftsfamilie nicht bessere und keine Rückführung möglich sei, würde ein Platz in einem dauerhaften Pflegeverhältnis gesucht und eingerichtet.
Pflegekinder können von verheirateten oder unverheirateten Paaren, gleichgeschlechtlichen Paaren oder auch Alleinstehenden aufgenommen werden.
Pflegeeltern brauchen Herzlichkeit und Geduld
Pflegeeltern brauchen Herzlichkeit, Zeit und Geduld. „Und sie sollten auch an einem Strang ziehen, wenn es um erzieherische Entscheidungen geht“, ergänzen Silke und Sascha G.
Wichtig sei auch, dass Pflegeeltern bereit seien, mit dem Jugendamt und mit der Herkunftsfamilie zusammenzuarbeiten. Denn häufig bestehe noch Kontakt zu den Herkunfts-Eltern oder einem Elternteil. Und im besten Fall ist es dann vielleicht so, dass das Pflegekind in seinem neuen Zuhause Glück empfindet. So wie Michel: „Ich mache alles mit ihnen gern“, sagt er strahlend. „Einfach alles.“
Info-Nachmittag
Für Menschen, die Interesse daran haben, als Pflegestelle oder Bereitschaftspflege ein Kind zu betreuen, gibt es einen Informations-Nachmittag: am Dienstag, 28. Februar, zwischen 14 und 16 Uhr in Raum 1.32 im Rathaus. Fragen können vorab an die Mitarbeiterinnen des Pflegekinderdienstes gestellt werden.
Standpunkt von Anja Siebel: Besondere Kinder
Es sind besondere Kinder, um die es hier geht. Und das heißt, dass sie besondere Zuwendung benötigen. Kinder, die – für eine Zeit lang oder für immer – nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien leben können, brauchen Geduld, Zeit und Wärme. Das können nicht alle Menschen fremden Kindern geben – und vor allem sind nicht alle dazu bereit. Dem gegenüber gibt es aber immer mehr Bedarf, wie die Mitarbeitenden des Jugendamtes feststellen. Sie suchen deshalb geeignete Familien oder auch Alleinstehende, die bereit und geeignet sind, Kinder kurzfristig oder auch über einen längeren Zeitraum bei sich aufzunehmen. Vielleicht eine Gelegenheit, einmal in sich zu gehen, ob diese Aufgabe nicht etwas wäre, was man selbst bewerkstelligen und sich vorstellen kann. Einen Vorbereitungskurs bietet das Jugendamt an. Erst nach Monaten stellt sich heraus, ob potenzielle Eltern und Kind zusammen passen- Zeit genug zum Überlegen bleibt also.