Kleiderordnung

Jogginghosen-Verbot: „Man liegt ja auch nicht auf Schultischen wie auf einer Couch“

Bauchfreie Oberteile sind an der Sekundarschule tabu.
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Bauchfreie Oberteile sind an der Sekundarschule tabu.
  • Anja Carolina Siebel
    VonAnja Carolina Siebel
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Der Didaktische Leiter der Sekundarschule, Moritz Lohmann, erklärt, warum Jogginghosen und Co. ab sofort verboten sind.

Herr Lohmann, was haben Sie eigentlich gegen Jogginghosen?
Moritz Lohmann: Ich persönlich halte Jogginghosen für ein Kleidungsstück, das einem speziellen Anlass dient: dem Joggen. Meine persönliche Meinung ist hier aber gar nicht ausschlaggebend, sondern, dass die Schulkonferenz 2019 etwas gegen Jogginghosen im Unterricht hatte – es gab keine Gegenstimmen. Und in der Schulkonferenz sind Schüler, Eltern und Lehrer vertreten. Der Beschluss ist nach meiner Kenntnis so demokratisch herbeigeführt worden wie es das Schulgesetz vorsieht.
Mal im Ernst, der Entschluss von Schulleitung und Lehrerkollegium, die Kleiderordnung wieder aufzugreifen, hat für Irritationen gesorgt. Verstehen Sie die Aufregung?
Lohmann: Natürlich ist es immer ärgerlich und irritierend, von Gewohntem abzuweichen. Nicht wenige Menschen haben sich in den Lockdowns und während des Home-Office an bequeme und gemütliche Kleidung beim Arbeiten gewöhnt. Irgendwann ist es aber an der Zeit, daraus wieder herauszukommen. Uns war vorher nicht bewusst, dass es Schüler gibt, die keine einzige Hose besitzen außer Jogginghosen. Das ist insofern bedenklich, weil man in Jogginghosen an bestimmten Teilen des gesellschaftlichen Lebens nicht ohne Weiteres teilhaben kann. Die Aufgabe von Schule ist es aber, Bildung und Teilhabe zu ermöglichen. Es wäre wünschenswert, dass wir Schüler an Kleidung gewöhnen, die ihnen nachhaltig mehr gesellschaftliche Teilhabe zugänglich macht.
Gab es denn einen konkreten Anlass, das Ganze jetzt wieder aufzugreifen? Warum wurde das jetzt so abrupt wieder aufgenommen?
Lohmann: So abrupt war das nicht. Die Teamsprecher und -sprecherinnen der Jahrgänge wurden vor etwa zwei Wochen informiert, damit die Schüler frühzeitig informiert werden konnten. Wo Informationen hängen geblieben sind, werden wir in der Schule aufarbeiten. Der zusätzliche Informationsbrief an die Eltern ist aufgrund der momentanen Unterbesetzung leider erst zwei Tage nach der Konferenz verbreitet worden. In Einzelfällen ist die Information eventuell spät angekommen und Kolleginnen und Kollegen haben den Beschluss schon umgesetzt. Das ist unglücklich, ich möchte aber meinem Kollegium nicht die Schuld dafür geben.
Sie sagen, dass der Beschluss, die Kleiderordnung einzuführen, damals zusammen mit Schülern der Schülervertretung (SV) getroffen wurde. Welche Argumente hatten die Jugendlichen damals dafür?
Lohmann: Darüber kann ich nur spekulieren, weil die Argumentation und Aussprache nicht im Protokoll vermerkt sind, da es sich um ein Ergebnisprotokoll handelt. Ich gehe davon aus, dass es ähnlich wie jetzt um die zentrale Frage ging: Wie verhalte ich mich in einem öffentlichen Raum?
Im Elternbrief steht, dass die Kleiderordnung auch eine Vorbereitung auf das Berufsleben sein soll. Wie ist das gemeint?
Lohmann: Das ist letztendlich der entscheidende Punkt: Jugendliche müssen lernen, dass in verschiedenen sozialen Räumen verschiedene Verhaltensweisen gelten. Kleidung, die zu Hause auf der Couch angemessen ist, ist es unter Umständen in der Schule nicht. Man liegt ja auch nicht auf Schultischen wie auf einer Couch. Einige Schülerinnen finden generell Hosen außer Jogginghosen nicht zumutbar. Das ist problematisch: Wenn einem oder einer Jugendlichen eine Jeans, Cordhose oder eine x-beliebige bequeme Alltagshose bei Zimmertemperatur nicht zuzumuten ist, wie soll dann eine Berufsausbildung im Handwerk mit entsprechender Arbeitskleidung zumutbar sei? Oder eine kaufmännische Ausbildung im Anzug? Die Abkehr von der Jogginghose bedeutet hier die Erweiterung des sozialen und später auch ökonomischen Handlungsspielraums.
Moritz Lohmann, didaktischer Leiter der Sekundarschule Wermelskirchen, verteidigt die Kleiderordnung, die die Schulkonferenz im Jahr 2019 beschlossen hatte.
Wie gehen Sie vor, wenn jemand sich nicht an die Vorschriften hält?
Lohmann: Das müssen wir nach den vergangenen Tagen noch einmal neu ausloten. Bisher haben wir die älteren Schüler und Schülerinnen im Wiederholungsfall nach Hause geschickt, um sich umzuziehen und wieder zu kommen. Darüber hinaus werden die Eltern informiert werden. Ich gehe allerdings stark davon aus, dass sich die Anzahl der Verstöße gegen die Vorstellungen der Schulkonferenz langfristig in Grenzen halten wird. Heute war kaum noch etwas los.
In den vergangenen Tagen wurden Schüler, die sich nicht an die Kleider-Regeln gehalten haben, also nach Hause geschickt. Eltern beschweren sich, dass sie dann aufgrund von Berufstätigkeit der Aufsichtspflicht nicht nachkommen könnten. Was sagen Sie dazu?
Lohmann: Mir ist bisher noch kein Fall bekannt, bei dem Schüler oder Schülerinnen des fünften oder sechsten Jahrgangs nach Hause geschickt wurden. Diese stehen natürlich unter einem besonderen Schutz. Dennoch werden wir Alternativen zum Nachhauseschicken finden. Ganz wichtig: Es ist nicht unser Ziel, Schüler von der Schule fern zu halten. Unser Ziel ist es, Unterricht in angemessener Umgebung und Kleidung zu ermöglichen. Insgesamt habe ich allerdings kaum Beschwerden bekommen. Ich habe zwei Mails von Klassenpflegschaftsvorsitzenden bekommen und zwei weitere Telefonate mit Eltern geführt. Dazu kamen zwei Elternteile, die sich Stand jetzt öffentlich beschwert haben.
Aber es geht ja auch um Unterrichtsausfall. . .
Lohmann: Ich hatte nicht den Eindruck, dass es um Unterrichtsausfall geht. Ich hatte den Eindruck, dass es um das Verlassen einer geliebten Komfortzone geht.
Welche Grenzen setzen Sie bei den Regeln? Was genau ist für Sie eine Jogginghose? Was ein bauchfreies Oberteil oder zu nackte Haut?
Lohmann: Auch hier ist entscheidend, was die Schulkonferenz beschlossen hat. Die zugrunde liegende Zeichnung verdeutlicht, dass Bauchnabel und Unterwäsche bedeckt bleiben sollen, keine tiefen Ausschnitte und Unterwäsche zu sehen sein sollten. Es geht um die Körperpartien, die eben nicht für eine Allgemeinheit bestimmt sind. Einige Eltern finden das spießig und sprechen von den eigenen Entscheidungen ihrer Kinder. Es kommt aber in Schulen immer wieder vor, dass Jugendliche vermeintlich eigenverantwortlich Handybilder von eben jenen Körperpartien an Jungs oder Mädchen verschicken.
Und dann passiert etwas mit den Bildern, dass die betroffenen Personen gar nicht mehr selbst entscheiden. Sie kursieren in Whatsapp-Gruppen von denen niemand weiß, wer dort überhaupt Einblicke hat. Die Anzahl von Schülerinnen und Schülern, die so freizügig herumlaufen, dass es nicht mehr mit den Vorstellungen der Schulkonferenz vereinbaren lässt schätze ich allerdings nicht für hoch ein. Vielleicht in einem einstelligen Prozentbereich.
Hat es in der Vergangenheit Probleme mit Schülerinnen oder Schülern gegeben, die sich in bestimmter Weise gekleidet haben?
Lohmann: Natürlich. Wenn eine Schülerin in fleckiger Schlabberhose und Badelatschen in den Unterricht kommt, ist das ein Problem. Wenn ein Schüler im Pullover mit verfassungsfeindlichen Symbolen oder gewaltverherrlichenden Motiven erscheint, ebenso. Die meisten Schüler unserer Schule sind sich der Problematiken oft nicht bewusst. Deshalb ist hier Klarheit und pädagogische Aufklärungsarbeit immens wichtig.
Eltern haben berichtet, dass ihre Kinder beispielsweise übergewichtig seien, Insulin spritzen müssten oder unter einer Behinderung leiden würden. Welche Gründe gibt es für Sie, Ausnahmen von der Kleiderordnung zu machen?
Lohmann: Ich sehe den Zusammenhang von Insulin und Jogginghose nicht. Es geht ja nicht um bequeme oder weit geschnittene Alltagskleidung. Die ist von der Regelung ja nicht betroffen. Ich glaube, dass es auch für Menschen mit einer Insulinpumpe kleidungsmäßig andere Alternativen als die Jogginghose gibt. Dennoch sind wir eine inklusive Schule und wenn sich für jemanden aus gesundheitlichen Gründen ein Problem ergibt, werden wir individuelle Lösungen finden.
Werden Sie an der neuen Regelung trotz der vielen Kritik festhalten?
Lohmann: Natürlich. Die „Kleiderordnung“ ist die aktuelle Beschlusslage und bleibt unsere Richtschnur. Mir bleibt gar nichts anderes übrig. Die Aufgabe von Schulleitung ist es, Konferenzbeschlüsse einzuhalten und umzusetzen, und nicht das Gegenteil. Wir werden uns allerdings noch einmal über die Verbindlichkeit der Einforderung und die Wahl der pädagogischen Einwirkungsmaßnamen klar werden müssen. Schule ist oft ein träges System, und das ist in manchen Fällen ganz gut so.
Die Aufregung in den Medien war heute hoch, bei der Mehrzahl der Schüler aber nicht. Ich habe heute auf unserem Schulhof fast ausnahmslos glückliche Kinder ohne Jogginghosen gesehen. Vielleicht läuft es in den nächsten Wochen darauf hinaus, dass durch den ganzen Trubel der letzten Tage wir uns damit abfinden werden müssen, dass einige Schüler:innen wohl immer in Jogginghosen kommen werden und andererseits viele Schüler:innen und Eltern gemerkt haben, dass eine angemessenere Kleidung nicht schädlich sondern förderlich für die Entwicklung ihrer Kinder ist.

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