Prozess
Missbrauchskomplex Wermelskirchen: Staatsanwältin fordert Sicherungsverwahrung
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Die Staatsanwältin fordert für den Angeklagten eine Haftstrafe von 14 Jahren und 10 Monaten mit anschließender Sicherheitsverwahrung.
Von Kristin Dowe
Wermelskirchen/Solingen. Geht es nach Staatsanwältin Dr. Weber, wird der 45-jährige Mann aus Wermelskirchen für sehr lange Zeit hinter Gittern verschwinden: So forderte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft gestern in ihrem Plädoyer vor dem Landgericht Köln eine Freiheitsstrafe von 14 Jahren und zehn Monaten inklusive anschließender Sicherheitsverwahrung für den Angeklagten. Bis auf zwei Monate wäre der mögliche Strafrahmen damit ausgeschöpft.
Der beschuldigte IT-Experte aus dem Bergischen muss sich vor der 2. Großen Strafkammer wegen 124 Einzeltaten schwersten sexuellen Missbrauchs an Kindern verantworten. Unter den Opfern waren unter anderem Säuglinge sowie Kinder mit Behinderung, darunter auch zwei Jungen aus Solingen. Seine Taten filmte er und verbreitete die Videos davon im Internet. Immer wieder hatte der Wermelskirchener sich als „Babysitter“ in die betroffenen Familien eingeschleust und sich so das Vertrauen von Eltern und Opfern erschlichen. In einigen Fällen soll er die Kinder mit Medikamenten gefügig gemacht haben. Die Vorwürfe hatte er – womöglich auch angesichts der erdrückenden Beweislage – weitestgehend eingeräumt.
Angeklagter muss hohe Summen an Schmerzensgeld zahlen
Die Öffentlichkeit wurde während der Plädoyers am gestrigen Verhandlungstag ausgeschlossen. Der Solinger Rechtsanwalt Marc Françoise, einer der Vertreter der Nebenklage, hatte dem WGA die wesentlichen Argumente von Staatsanwaltschaft und Verteidigung mitgeteilt und befindet: „Frau Dr. Weber ist alle Taten detailgenau durchgegangen und hat ihre Forderung ausgezeichnet begründet. Sie hat jedes rechtliche Problem angefasst und es uns Nebenklage-Vertretern damit leicht gemacht.“
Die Verteidigung blieb in ihrem Plädoyer derweil eher vage und forderte den Verzicht auf eine Sicherungsverwahrung. Eine schlüssige Begründung dafür habe sie laut Françoise dafür nicht geliefert. „Da kamen null Argumente.“
Tatsächlich dürfte die Ausgangssituation für den Angeklagten eher schlecht aussehen. Eine psychiatrische Gutachterin hatte ihn für voll schuldfähig erklärt und bei ihm Voraussetzungen für eine mögliche Sicherungsverwahrung angedeutet.
Schon jetzt ist klar: Der Angeklagte wird für seine Taten nicht nur mit seiner Freiheit bezahlen müssen, sondern vor allem auch finanziell. So haben die Nebenklage-Vertreter umfangreiche Anträge auf Schmerzensgeld gestellt. Den Ansprüchen wolle man so weit wie möglich nachkommen – einige Zahlungen wurden bereits geleistet. „Es gibt keine gerechte Lösung“, gab Verteidiger Christian Lange offen zu. Das sei seinem Mandanten durchaus klar.
Insgesamt stehen 125 000 Euro für die Auszahlung der Opferfamilien zur Verfügung. Für seinen Solinger Mandanten hat auch Marc Françoise einen Adhäsionsantrag gestellt und rund 100 000 Euro Entschädigung gefordert. Formal habe der Beschuldigte diesen Anspruch anerkannt, aber angegeben, dass er ihn nicht in voller Höhe zahlen könne. „Nach meiner Kenntnis ist dieser Betrag das höchste Schmerzensgeld, das jemals einem Missbrauchsopfer zugesprochen wurde“, so Françoise.
Im vorliegenden Solinger Fall hatte sich der Angeklagte mutmaßlich als Babysitter an einem schwerbehinderten Jungen vergangen und sogar einen Komplizen aus Berlin zum gemeinsamen Missbrauch des Kindes in die Wohnung der ahnungslosen Familie „eingeladen“. Eine Aufklärungshilfe seitens des Angeklagten in Bezug auf den wahrscheinlichen Mittäter kann der Rechtsanwalt nicht erkennen: „Der schützt ihn weiterhin.“
In dem anderen Solinger Fall forderte Nebenklage-Vertreterin Esther Kunz für ihren Mandanten Schmerzensgeld in Höhe 25 000 Euro, was ebenfalls anerkannt wurde. Zwar habe der heute 16-jährige Jugendliche keine bewusste Erinnerung an die Taten, sei aber nachhaltig traumatisiert worden, als er von den Geschehnissen erfuhr. Er befinde sich in Therapie und hätte zeitweise kaum die Schule besuchen können.
Die Beweisaufnahme ist nun geschlossen. Ein Urteil wird für den 28. Februar erwartet.
Hintergrund
Verfahren: Der Angeklagte muss sich wegen 124 Einzeltaten verantworten. In dem gesamten Tatkomplex wird in 84 Verfahren gegen 85 Beschuldigte ermittelt.
Zugriff: Beamte eines Sondereinsatzkommandos hatten ihn im Dezember 2021 in seinem Haus in Tente (Wermelskirchen) festgenommen.