Erinnerung
Ingeborg Eichhorn verweigerte den Hitlergruß
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Die 86-jährige Ingeborg Eichhorn erinnert sich an die Verfolgung ihrer Familie durch das Nazi-Regime.
Von Wolfgang Weitzdörfer
Manchmal kommt die große Geschichte einem ganz nahe. Nämlich dann, wenn man sich mit Zeitzeugen über die Vergangenheit unterhält. Wenn die Erinnerungen lebendig werden, wenn man eintaucht in das, was man durch die Gnade der späten Geburt nur aus eben solchen Erzählungen erfahren kann. Man wird dann demütig, gerade wenn es um Erinnerungen geht, die nicht unbedingt gut sind.
Die Wermelskirchenerin Ingeborg Eichhorn ist eine Zeitzeugin. Sie ist 86 Jahre alt, wurde 1936 hier in der Stadt als Ingeborg Brosius geboren. Ihr Vater, Friedrich Nathanael Brosius, Kaufmann und Zeuge Jehovas, ist damals 31 Jahre alt. „Ich war drei Monate alt, als er zum ersten Mal verhaftet wurde, weil er Zeuge Jehovas war“, sagt Ingeborg Eichhorn. Insgesamt sei er damals in zwölf verschiedenen Gefängnissen gewesen – bis er 1937 ins Konzentrationslager (KZ) Buchenwald bei Weimar gekommen sei.
Es wird neun Jahre dauern, bis zum April 1945, als das KZ von den Alliierten befreit wird, bis Ingeborg Eichhorn ihren Vater zum ersten Mal bewusst sehen wird. Sie zeigt ein Bild, auf dem die junge Familie – Ingeborg Eichhorn hat eine vier Jahre ältere Schwester – am Tag vor der Internierung des Vaters in Buchenwald zu sehen ist. Die heute 86-Jährige liegt als Säugling auf dem Arm ihrer Mutter. „Er war da ja schon mehrfach inhaftiert, ob er an diesem Tag wusste, dass er am nächsten Tag nach Buchenwald kommen würde – das weiß ich aber auch nicht“, sagt die Wermelskirchenerin. Ab dem nächsten Tag ist die Familie zerrissen. „Meine Mutter war auch unter Beobachtung, wir sind bis 1941 in Wermelskirchen geblieben, dann sind wir zu meiner Oma nach Dresden geflohen“, sagt Eichhorn.
Die Großmutter ist ebenfalls Zeugin Jehovas. An eine Situation des Jahres 1942 erinnert sich die 86-Jährige noch gut. „Ich war mit meiner Oma allein zu Hause, meine Schwester war in der Schule, meine Mutter bei der Arbeit. Da kam die Gestapo zu uns.“ Das damals sechs Jahre alte Mädchen ist am Ende allein zu Hause, zumindest bis die Mutter nach Hause kommt. „Mein Opa war schon in Buchenwald, meine Oma hat die Gestapo mitgenommen – sie war bis 1945 in einem Gefängnis in Traunstein“, weiß Ingeborg Eichhorn und ergänzt: „Das war schwierig für mich, sehr schwierig. Denn ich habe meine Oma sehr geliebt.“ Auch wenn sie erst ein kleines Mädchen gewesen sei, habe sie gewusst, dass ihre Großeltern wegen ihres Glaubens im Gefängnis gewesen seien.
Der wiederum habe ihr damals geholfen. „Dass wir die Bomben ab dem 13. Februar 1945 überlebt haben, ist ein Wunder“, sagt sie. Bis dahin sei die Mutter mit ihren beiden Töchtern in Dresden geblieben, weitgehend unbehelligt. Sogar dass das Mädchen aus ihrem Glauben heraus den obligatorischen Hitlergruß in der Schule verweigert habe, sei ihr nicht zum Verhängnis geworden. „Beim Appell auf dem Schulhof konnte man mich nicht sehen, weil ich so klein war“, erinnert sie sich und lächelt verschmitzt. Und auch beim Betreten des Klassenzimmers hätten die Schüler den rechten Arm zum Gruß heben müssen. „Das habe ich nicht getan, mein Lehrer hat aber nichts dazu gesagt. Er war sehr nett“, sagt sie. Zeugen Jehovas haben den sogenannten Deutschen Gruß im Dritten Reich verweigert, was zu Verfolgung und Unterdrückung geführt hat.
Als nun ab dem 13. Februar 1945 die Bomben auf Dresden niederregnen, versuchen die Mutter und ihre beiden Töchter die Stadt zu verlassen. „Es fielen Phosphorbomben, die alles verbrannt haben. Ich hatte deswegen lange Zeit große Probleme mit offenem Feuer“, erinnert sich Ingeborg Eichhorn. Um dem wenigstens irgendetwas entgegenzuhalten, hätten die drei nasse Handtücher bei sich gehabt, in die sie sich eingewickelt hätten. Das habe zwar geholfen, habe aber auch zu einer schweren Lungenentzündung der kleinen Ingeborg geführt. „Wir hatten doch keine Medikamente, und ich hatte hohes Fieber“, erklärt sie. Sie ist überzeugt davon, dass Gott ihr damals geholfen hat. Aus Dresden herausgekommen ist die Familie mit einem Bekannten in dessen Lastwagen. Es geht ins ländliche Erzgebirge in das Haus einer Tante.
Dort finden sie Unterschlupf in einem Zimmer über einem Kuhstall. Wo sie auch den Vater wiedertraf – auf ebenfalls schier unglaubliche Art und Weise. „Eines Tages hörte ich jemanden pfeifen – und habe das Lied erkannt. Ich wusste, dass es mein Vater war“, erklärt sie. Er habe gewusst, dass seine Schwägerin im Erzgebirge ein Haus gehabt habe, aber nicht gewusst, dass seine Familie dort war. „Er ist dann direkt mit uns zurück nach Wermelskirchen gefahren. Auf dem Weg haben wir in Buchenwald angehalten. Es war grauenvoll, die Leichen lagen noch herum, es herrschte Chaos. Meine Schwester hat den Anblick kaum verkraftet“, beschreibt Ingeborg Eichhorn.
Zurück in Wermelskirchen geht das Leben positiv weiter. „Wir sind zuerst in einer Wohnung an der Schillerstraße untergekommen, in der vorher SS-Leute wohnten. 1948 hat mein Vater gebaut – zusammen mit meinem späteren Mann. Der war nämlich der Sohn eines Mithäftlings aus Frankfurt. Die beiden haben schon im KZ Pläne geschmiedet, dass ihre Kinder später einmal heiraten könnten. Zumindest bei mir hat es auch geklappt“, meint Ingeborg Eichhorn und lacht. 1955 hat sie ihren Mann geheiratet.