Nach Erdbeben

Bildik sorgt sich um seine Familie in der Türkei

Zerstörung, wohin man blickt: Die Fotos, die Tulga Bildik aus der Heimat seiner Familie erreichen, sorgen für Entsetzen.
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Zerstörung, wohin man blickt: Die Fotos, die Tulga Bildik aus der Heimat seiner Familie erreichen, sorgen für Entsetzen.

Seit dem Erbeben in der Türkei und Syrien telefoniert Tulga Bildik täglich mit seinen Angehörigen in Pazarcik.

Von Theresa Demski

Wermelskirchen. Gerade läuft das Mittagsgeschäft „Bei Ali“. Es ist ein betriebsamer Freitag und Tulga Bildik sowie seine Familie haben alle Hände voll zu tun. Und doch gilt sein Blick regelmäßig seinem Smartphone. „Natürlich sind wir ständig in Kontakt“, sagt er dann und meint seine Großmutter in der Türkei, seinen Onkel, die Tante, Cousins und Cousinen. Seit jener Montagnacht, in der die Erde bebte, hat sich für die Familie die Welt verändert. „Meine Eltern kommen aus Pazarcik“, erzählt Tulga Bildik. Es ist eine der stark betroffenen Städte dieser Naturkatastrophe im Süden der Türkei – nahe der syrischen Grenze. Ali Yildiz und seine Frau Hanim hatten Anatolien vor mehr als 35 Jahren verlassen. Ihre Kinder wurden bereits in Deutschland geboren. Damals ließen sie Teile ihrer Familie zurück. „Wir sind dort jeden Sommer“, erzählt Tulga Bildik, „wir haben dort ein Haus, kennen jeden Straßenzug und viele Menschen.“

Als nun am 6. Februar die Erde bebte, habe sein Vater am Fernseher die Nachrichten verfolgt, erzählt der Sohn. Mitten in der Nacht. „Die Telefonleitungen waren tot, wir konnten niemanden erreichen“, berichtet er. Und während die Bilder des Erbebens an der türkisch-syrischen Grenze um die Welt gingen, stieg auch die Zahl der Toten immer weiter an. Erst am nächsten Tag gegen Mittag kam die erlösende Nachricht: Die Familie lebt.

„Mein Onkel und meine Tante sind bei dem Beben aus ihrer Wohnung in Pazarcik im vierten Stock geflohen“, erzählt Tulga Bildik. Die Wohnungstür habe sich erst nicht öffnen lassen, sein Onkel habe seine Frau schließlich davon abhalten müssen, sich über den Balkon zu retten. Letztendlich gewann er den Kampf gegen die verzogene Tür.

„Sie sind dann ins Dorf in das Haus meiner Großmutter gefahren“, erzählt er, „das sind nur ein paar Kilometer.“ Aber dort stünden hauptsächlich einstöckige Einfamilienhäuser und die seien häufig nicht so schwer betroffen wie die Hochhäuser in Pazarcik. „Meine Oma und eine Tante waren während des Bebens in Istanbul, das war wohl ihr Glück“, erzählt Bildik. Inzwischen campiert die halbe Familie im Garten vor dem Haus der Großmutter. Nachts würden die Temperaturen deutlich in den Minusbereich sinken. „Und es gibt noch gar keine Perspektive“, sagt der Gastronom, „fest steht nur: In ihre Wohnung können sie nicht zurück.“ Man versuche aktuell zu retten, was noch zu retten ist: persönliche Gegenstände aus der zerstörten Wohnung oder auch eine Waschmaschine.

Kaum hatten Tulga Bildik, seine Geschwister und Eltern die Familie in der türkischen Grenzregion telefonisch erreicht, boten sie ihre Hilfe an. „Es ging erst einmal um das Nötigste“, erzählt er. Viele Hilfsgüter seien bereits auf den Weg geschickt worden, auch Apotheker Zafer Arslan von nebenan habe sich mit Medikamenten-Spenden an der Hilfsaktion beteiligt, erzählt Bildik. „Und wir haben natürlich sofort gefragt, ob wir auch vor Ort helfen können“, ergänzt er dann. Aber die Familie war sich einig: Hilfe beim Wiederaufbau sei erst später sinnvoll. „Jetzt hätte es für uns ja auch erstmal keine Betten mehr gegeben, wir hätten auch im Zelt geschlafen und wohl mehr gestört als geholfen“, sagt Bildik.

Inzwischen haben die Familie in Wermelskirchen unzählige Fotos aus der zerstörten Stadt Pazarcik erreicht. „Unser eigenes Haus ist betroffen“, sagt der Gastronom und deutet auf eine Mauer im Hintergrund eines Bildes. Vieles liegt in Schutt und Asche. „Wir befürchten, dass es Jahre oder Jahrzehnte dauern wird, bis die Spuren des Erdbebens nicht mehr sichtbar sind“, befindet Tulga Bildik. Für seine Familie in Pazarcik sei das aber die einzige Perspektive. „Sie wollen nicht weg, sie wollen ihre Heimat nicht verlassen“, sagt er.

Währenddessen haben vor dem Restaurant an der Telegrafenstraße Besey Ortac und ihre Mitstreiterinnen einen Pavillon aufgebaut. Sie komme aus der gleichen Region wie Tulga Bildik erzählt die heutige Wermelskirchnerin. Und sie wolle etwas gegen die Machtlosigkeit tun. Also habe sie sich mit dem Leverkusener Integrationsrat und dem Verein „Europäische Initiative Maras“ zusammengetan: Gemeinsam verkaufen sie am Freitagmittag Kuchen vor dem Rathaus – und bitten um eine Spende für die Erdbebenopfer.

Tulga Bildik widmet sich unterdessen wieder dem Mittagsgeschäft – mit einem aufmerksamen Blick auf sein Handy.

Nachbeben

Noch immer bebe regelmäßig die Erde, berichtet die Familie von Tulga Bildik in Pazarcik. Auch Geologen registrierten seit dem verheerenden Beben am 6. Februar, bei dem mehr als 40 000 Menschen starben, schon Tausende Nachbeben – häufig im Minutentakt. Pazarcik liegt in der stark betroffenen Erdbebenprovinz Kahramanmaras. Sie zählt rund 70 000 Einwohner, mehrheitlich Kurden. Traditionell leben in Pazarcik auch viele Aleviten. Bis zur syrischen Grenze sind es rund 90 km.

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