Gegen sexualisierte Gewalt
Evangelische Kirchengemeinde: „Alle sollen sich bei uns sicher fühlen“
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Die Evangelische Kirchengemeinde hat ein neues Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt beschlossen.
Von Theresa Demski
Wermelskirchen. Im Gemeindehaus in Tente gibt es einen langen dunklen Flur. Wer vom Gemeindesaal Richtung Jugendbereich geht, landet im Zweifelsfall erstmal im Dunklen. „Dort gibt es keinen natürlichen Lichteinfall. Wer nicht weiß, wo sich der Lichtschalter befindet, muss sich im Dunkeln durchhangeln“, sagt Marion Klein, Vorsitzende des Jugendausschusses der Evangelischen Kirchengemeinde Wermelskirchen. Bei einer Risikoanalyse fiel den Tentern genau dieser Gang in den Blick. Sollte jemand böse Absichten haben, würde dieser Gang beste Voraussetzungen schaffen. „Jetzt haben wir einen Bewegungsmelder angebracht“, sagt Marion Klein, „und damit eine dunkle Ecke weniger.“
Es ist eine von vielen Veränderungen, die die Kirchengemeinde mit ihrem neuen Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt anstoßen will. „Alle Menschen sollen sich bei uns sicher fühlen“, sagt Pfarrerin Almuth Conrad, „und wir wollen so früh wie möglich ansetzen.“ Fürs Erste hat der Jugendausschuss die Fäden in die Hand genommen. Das Presbyterium hat das Papier bereits beschlossen. Langfristig soll das Konzept aber für alle Gemeindegruppen und Angebote angepasst werden – dafür ist bereits eine Gruppe mit Vertretern aller Gemeindebezirke im Einsatz.
Alle Ehrenamtlichen besuchen künftig eine Schulung
Anderthalb Jahre hat ein Arbeitskreis an dem neuen Konzept gearbeitet – mit Marion Klein, den drei Jugendreferenten der Gemeinde und jungen Menschen, die von ihren eigenen Bedürfnissen erzählt haben. Herausgekommen ist ein Schutzkonzept, das kleine und große Veränderungen ankündigt. „Wir wollen ein klares Zeichen setzen: Unsere Gemeinde ist ein Schutzraum. Wir akzeptieren keine Grenzüberschreitungen“, erklärt Almuth Conrad das klare Signal des Papiers.
Ehrenamtliche Mitarbeiter müssen künftig ein Führungszeugnis vorlegen, bevor sie im Gemeindeleben aktiv werden. Sie müssen eine Selbstverpflichtung unterzeichnen. „Das baut auf ein bestehendes Schutzkonzept auf, das wir 2015 gemeinsam mit dem Jugendamt auf den Weg gebracht haben“, erklärt Marion Klein. Das neue Konzept geht aber noch deutlich weiter: „Alle Ehrenamtlichen besuchen künftig eine Schulung, die für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisiert“, erklärt Marion Klein. Das gelte jetzt schon für Ehrenamtliche in der Jugendarbeit, langfristig gelte es aber eben auch für Mitarbeiter in der Seniorenarbeit, im Besuchsdienst, in Chören oder Gesprächskreisen der Gemeinde.
Es gebe verschiedene Schulungsangebote, je nach Intensität des ehrenamtlichen Einsatzes. „Aber fest steht: Jeder Ehrenamtliche wird in seinem Alltag immer wieder diesem Schutzkonzept begegnen“, sagt Marion Klein. Jugendreferent Jo Momper hat sich dafür von der Landeskirche als Multiplikator ausbilden lassen. Rund 70 der 90 CVJM-Mitarbeiter haben die Schulung bereits absolviert.
Auch das Krisenmanagement stellt die Gemeinde mit dem Schutzkonzept auf neue Beine: In allen Gemeindehäusern werden aktuell Briefkästen installiert. Betroffene oder auch Ehrenamtliche können hier über Missstände oder Unsicherheiten informieren. Die Post landet dann bei einem Krisenteam. „Das ist neu“, sagt Marion Klein, „damit gibt es künftig keine Unsicherheiten mehr, wer zuständig ist.“
Der Kirchenkreis habe darüber hinaus im Rahmen eines eigenen Schutzkonzeptes Vertrauenspersonen berufen, die ansprechbar seien. Im Krisenteam der Gemeinde sitzen neben der Vorsitzenden des Jugendausschusses auch die Jugendreferenten, der Vorsitzende des Presbyteriums und ein Vertreter des Kirchenkreises. „Dort wird dann über das weitere Vorgehen beraten“, erklärt Marion Klein. Es sind neue Strukturen entstanden, die Schutz für alle bieten sollen.
Dazu gehört auch die regelmäßige Risikoanalyse, die Gruppenleiter künftig einmal im Jahr durchführen müssen. „Dabei geht es dann um dunkle Ecken, weitläufige Wiesen, räumliche Gegebenheiten, aber auch Gewohnheiten in Gruppen, die hinterfragt werden sollen“, sagt Marion Klein. Eine unwillkommene Umarmung, unangebrachte Witze, grenzüberschreitende Worte: „Wir wollen stattdessen eine Atmosphäre der Achtsamkeit schaffen“, sagt Almuth Conrad, „genau hinsehen und das Thema nicht einfach abtun.“
Hinter dem neuen Schutzkonzept steckt auch der Wunsch, Hierarchien abzubauen. „Sexuelle Gewalt setzt ein Machtgefälle voraus“, sagt Almuth Conrad, „wir wollen uns auf Augenhöhe begegnen.“ Das Schutzkonzept biete dafür eine neue Grundlage – und werde schon jetzt in der Jugendarbeit mit Leben gefüllt.
Hintergrund
Gemeinde: Bis Juni 2023 müssen Gemeinden ein Schutzkonzept gegen sexualisierte Gewalt umsetzen. Das fordert die Evangelische Kirche im Rheinland. „Es ist uns wichtig, dieses Konzept auch mit Leben zu füllen“, sagt Marion Klein. Deswegen habe man ein eigenes Papier geschrieben – mit Blick auf die individuelle Situation der Gemeinde, in der ungewöhnliche viele jugendliche Mitarbeiter im Einsatz seien.
Kita: Inzwischen hat Marion Klein mit den Leitungen der drei evangelischen Kindertageseinrichtungen ein Papier für den Kita-Alltag angepasst. Das würde zum Beispiel in solchen Situationen greifen wie aktuell in Burscheid: Dort wurden in einer Caritas-Einrichtung jüngst zwei Kita-Mitarbeiterinnen nach Verdacht auf sexualisierte Gewalt freigestellt.