Fachkräftemangel

Wie kommen Schüler ins Handwerk?

Fred Schulz, Bastian Eidloth, Alexander Schmidt und Lutz Kotthaus (v. l.) blicken mit Sorge auf die Ausbildungssituation im Handwerk. Nachwuchs ist in vielen Branchen nicht in Sicht.
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Fred Schulz, Bastian Eidloth, Alexander Schmidt und Lutz Kotthaus (v. l.) blicken mit Sorge auf die Ausbildungssituation im Handwerk. Nachwuchs ist in vielen Branchen nicht in Sicht.
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Die Zahl der Auszubildenden ist zu niedrig. Den Unternehmen bereitet das Probleme. Ein Remscheider Beispiel.

Von Andreas Weber

Remscheid. Nicht eine Bewerbung für eine Lehrstelle erhielt Fliesenleger Lutz Kotthaus in den vergangenen zwei Jahren. Der Hastener Meister beschäftigt einen Mitarbeiter, der 2024 nach 26 Jahren im Betrieb in den Ruhestand gehen wird. Der 55-Jährige wird dann alleine sein, Nachwuchs ist nicht in Sicht. Lutz Kotthaus, spezialisiert auf altengerechte Bäder, leitet eine der zwölf Fliesenlegerfirmen in Remscheid, die der Innung angeschlossen sind. Sie alle haben ein Problem.

Es gibt kaum noch Azubis. Der letzte Lehrling bei Kotthaus hat vor fünf Jahren angefangen. Der schulische Teil liefert auch kein Argument, in Remscheid Fliesenleger zu werden. Die nächste Berufsschule ist 54 Kilometer entfernt, in einer Fachklasse am Friedrich-Albert-Lange-Berufskolleg in Duisburg. Und das vermittelt Unterrichtsinhalte, die längst nicht up to date sind. So arbeitet Kotthaus zum Beispiel bei der Auftragsvergabe mit 3-D-Grafiken als Simulation. Weil nichts nachwächst, liegt eine Lösung nahe: „Irgendwann werden wir als Betriebe zusammenarbeiten müssen“, gibt sich Kotthaus keinen Illusionen hin.

Es ist die Folge des Fachkräftemangels, der bei den Azubis beginnt. Die Kreishandwerkerschaft schlägt seit langem Alarm, sucht Auswege aus der Misere. „Wir brauchen 200 bis 220 Azubis jährlich für die 22 verschiedenen Ausbildungsberufe in den elf Innungen“, meint Geschäftsführer Fred Schulz. 2022 wurden in Remscheid 185 neue Ausbildungsverträge geschlossen, 22 während der Probezeit gelöst. 163 bestehende neue Verträge meldeten die Betriebe zum Jahreswechsel. Ein Jahr davor waren es sogar nur 154.

„Es fällt den Betrieben von Jahr zu Jahr schwieriger, geeignete junge Menschen zu finden“, stellt Schulz fest. Das größte Problem sei die fehlende Ausbildungsreife der Bewerber, beobachtet die Handwerkerschaft. Denn die Ansprüche in allen Ausbildungsberufen seien erheblich gestiegen. Ein guter Schulabschluss müsse vorliegen. „Mangelndes mündliches und schriftliches Ausdrucksvermögen sowie das Fehlen elementarer Rechenfertigkeiten und ausreichende Kenntnisse in Deutsch und den Naturwissenschaften sind verstärkt erkennbar“, stellt Fred Schulz fest.

Eine Schlüsselrolle nimmt auch die Ausbildungswilligkeit ein. Tugenden wie Leistungsbereitschaft, Disziplin, Umgangsformen, Interesse, Aufgeschlossenheit oder Belastbarkeit seien gefragt. Viele Bewerber ließen es daran mangeln. „Handwerksbetriebe sind meist nicht in der Lage, Nachhilfe zu geben oder als Reparaturbetrieb für Versäumtes aufzutreten.“ Der Wille, die drei oder dreieinhalb Jahre Ausbildung mit Fleiß, Einsatz und Einsatzfreude zu bestreiten, sei aber unabdingbar für den eigenen Erfolg, resümiert Schulz.

Die Handwerker lernen aber auch, die Jugendlichen abzuholen. „Es ist wie beim Angeln. Wenn ich den richtigen Köder dranhänge, passiert was“, wählt Alexander Schmidt, Kreislehrlingswart des Kfz-Handwerks einen Vergleich. Mit Lutz Kotthaus ist er zum Ausbildungsbotschafter des Remscheider Handwerks ernannt worden. Frühzeitig auf die Ausbildung in den Schulen vorbereiten, ist ihr Gebot.

„Aber nicht als Großveranstaltung wie beim RAM oder beim Tag der offenen Tür des BZI, sondern in kleinen Einheiten.“ Er erprobt das Rezept mit Erfolg in der Nelson-Mandela-Schule, wo er einmal im Monat zur Sprechstunde für kleine Gruppen auf Augenhöhe in sein kleines „Büro“ einlädt. Dass ihn hinterher Schüler anrufen, um nachzuhaken, wertet Schmidt als Zeichen, dass diese Beratung intensiver und effektiver ist.

Die Kreishandwerkerschaft möchte dieses Modell auch an anderen Schulen etablieren. Pensionär Schmidt, aber auch Lutz Kotthaus nehmen sich die Zeit, und hoffen, dass auch andere Lehrlingswarte für Schülergespräche zur Verfügung stehen. Auch auf Elternabenden sind die Kreishandwerker präsenter und sie wollen in die Lehrerkollegien gehen. Denn wenn die Pädagogen nicht mitziehen, wird es schwer.

Denen soll zum Beispiel vermittelt werden, wie wichtig der „Praktikanten-Pool“ ist. Die Kreishandwerkerschaft hat diesen für Schüler eingerichtet, die zu Beginn ihres Praktikums feststellen, dass der ausgewählte Betrieb und Beruf nichts für sie sind, so dass sie zügig wechseln können. Genutzt wird die Möglichkeit kaum.

Über allem steht die Perspektive, Unternehmer zu werden

Fred Schulz bleibt trotzdem, optimistisch. Denn weiterhin gilt: „Handwerk hat goldenen Boden.“ Die Rechnung geht so: „Mit 16 Jahren machen sie bei uns ihre Ausbildung, sind mit 19 Geselle, wenn sie wollen, mit 22 Jahren Meister. Und die Meister in den technischen Berufen können ein Studium aufnehmen.“ Über allem steht die Perspektive, Unternehmer zu werden. „Denn wir haben in Remscheid 120 Betriebe, die in den kommenden Jahren einen Nachfolger suchen“, nennt Schulz ein Argument, im Handwerk Gas zu geben.

Kreishandwerkerschaft

Die Kreishandwerkerschaft vertritt 800 Vollhandwerksbetriebe, 180 zulassungsfreie Handwerksbetriebe und 170 handwerksähnliche Betriebe mit 8000 sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten. In diesen Betrieben werden derzeit knapp 500 Lehrlinge ausgebildet. „Das Handwerk ist mit Abstand der größte Ausbilder in der Region“, so Fred Schulz.

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