Interview der Woche
Herr Prof. Lohmann, stehen wir am Beginn einer Pleitewelle?
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Prof. Christian Lohmann sorgt sich um die Banken, sieht die bergische Industrie aber gut aufgestellt.
Von Manuel Böhnke
Herr Prof. Lohmann, seit Beginn der Corona-Pandemie wird eine Insolvenzwelle befürchtet. Zuletzt ist die Zahl der Unternehmenspleiten laut Statistischem Bundesamt gestiegen. Türmt sich da etwas auf?
Prof. Christian Lohmann: Das ist eine gute und drängende Frage. Zwischen Weltfinanzkrise 2007/2008 und Beginn der Corona-Pandemie haben wir knapp zehn Jahre des moderaten Aufschwungs erlebt, der stark von der Nullzinspolitik und der Ausweitung der Geldmenge getrieben war. Im Frühjahr 2020 stand die Wirtschaft dann von heute auf morgen still. Dass die meisten Unternehmen das überstanden haben, liegt vor allem an politischen Maßnahmen. Einerseits wurde die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Andererseits gab es staatliche Unterstützungsmaßnahmen für Unternehmen und die Zentralbanken haben mit geldpolitischen Maßnahmen die Wirtschaft unterstützt. Dadurch ist die Liquidität im Wirtschafts- und Finanzsystem gestiegen. In den nächsten ein bis zwei Jahren wird sich zeigen, ob diese kurzfristig positiven Maßnahmen mit umfänglichen Nebenwirkungen einhergehen werden.
Gehen Sie davon aus?
Lohmann: Im langjährigen Durchschnitt melden pro Jahr etwa zwei Prozent der Unternehmen Insolvenz an. In Aufschwungphasen sind es weniger, in Rezessionsphasen mehr. Seit der Weltfinanzkrise stellen wir fest, dass sich die Zahl der Insolvenzen auf einem extrem niedrigen Niveau bewegt. Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Entweder haben die Unternehmen viel besser gewirtschaftet als zuvor – oder die Niedrigzinsphase hat es ermöglicht, zu guten Konditionen Geld aufzunehmen, um Firmen weiterzuführen. Im Zweifel stimmt Zweites.
Was folgt daraus?
Lohmann: Wir sprechen von einer „Zombifizierung“ der Wirtschaft: Unternehmen, die ein Problem mit ihrem Geschäftsmodell haben und Liquiditätsprobleme aufweisen, werden mit günstigen Krediten am Leben gehalten. Deshalb gehe ich davon aus, dass wir uns dem langjährigen Mittel von zwei Prozent wieder annähern. Dabei gibt es einen erheblichen Nachholbedarf. Die Frage ist: Geschieht das in Form eines großen Crashs oder erleben wir mehrere Jahre mit deutlich höheren Insolvenzraten?
Das Insolvenzgeschehen wird sich also statistisch gesehen normalisieren?
Lohmann: Dies ist zumindest meine Erwartung. Es wäre möglich, diese Entwicklung in die Zukunft zu verschieben, indem die Geldpolitik wieder gelockert wird. Sinken die Zinsen, wird es leichter, Kredite aufzunehmen und Unternehmen am Leben zu halten. Wir erleben seit längerer Zeit, dass mit solchen Maßnahmen Rezessionszyklen verkürzt werden. Ewig funktioniert das aber nicht. Wir können nur hoffen, dass die Situation nicht allzu schlimm wird und sich die lokalen Unternehmen gut schlagen, indem sie weitsichtig agieren sowie kurz-und mittelfristige Risiken nach Möglichkeit meiden.
Welche Branchen sind besonders gefährdet?
Lohmann: Grundsätzlich können drei Herausforderungen auftreten: Die Betriebe haben Probleme, Geld aufzunehmen, ihr Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr oder die Kosten explodieren. Aktuell liegt unabhängig von der Branche mindestens einer dieser Risikofaktoren vor. Deutlich wird das am Handel und dem Baugewerbe, die derzeit beide in besonderen Schwierigkeiten stecken. Ersterer hat ein strukturelles Problem hinsichtlich seines Geschäftsmodells, Baufirmen haben mit mit umfänglichen Kostensteigerungen und der fehlenden Bewegung auf dem Immobilienmarkt zu kämpfen.
Gibt es andere Branchen, die Ihnen Sorgen bereiten?
Lohmann: Problematisch ist die Entwicklung der Banken. Wir haben in den vergangenen Wochen mit der First Republic Bank, der Signature Bank und der Silicon Valley Bank die zweit-, dritt- und viertgrößte Bankenpleite in den USA erlebt. Auch andere Regionalbanken stehen dort massiv unter Druck. Das sollte uns zu denken geben. Banken sind der Blutkreislauf der Wirtschaft, sie sind für das Funktionieren des Geldsystems verantwortlich.
Warum stehen die Institute so unter Druck?
Lohmann: Banken gehen nicht pleite, weil sie kein Geld mehr bekommen, sondern weil Kunden ihr Geld zurückfordern. Ihr Geschäft ist die Fristentransformation. Die Banken verwenden Kundeneinlagen, um Kredite auszugeben oder Investitionen zu tätigen – und daran zu verdienen. Unter normalen Bedingungen reichen die Vermögenswerte einer Bank aus, um die Einlagen abzudecken – selbst wenn alle Kunden sie gleichzeitig zurückwollen. Wegen der gestiegenen Zinsen geht das aktuell nicht mehr auf.
Können Sie das erklären?
Lohmann: Die Banken sind angehalten, auf Vermögenswerte mit geringer Risikogewichtung zu setzen. Vor allem Staatsanleihen galten als besonders sicher. Derzeit ist zu beobachten, dass ihr Wert wegen der steigenden Zinsen fällt. Betrachten wir beispielsweise eine Staatsanleihe mit einem Zinssatz von einem Prozent und einer Restlaufzeit von zehn Jahren. Ein Anstieg der Zinsen auf vier Prozent führt dann zu einem Bewertungsabschlag in einer Größenordnung von etwa 25 Prozent. Das bedeutet für die Bank zunächst einen Buchverlust. Kritisch wird es, wenn Kunden ihr Geld zurückwollen und das Institut gezwungen ist, die Anleihen zu der niedrigeren Bewertung zu verkaufen. Dann kann es passieren, dass die Einlagen der Kunden nicht gedeckt sind und die Bank Insolvenz anmelden muss. Das werden wir in diesem Jahr noch mehrfach in den USA erleben. Dieses Problem existiert aber letztlich weltweit.
Gibt es einen Ausweg?
Lohmann: Die Zentralbanken müssen entscheiden: Bekämpfen wir die Inflation mit höheren Zinsen oder retten wir das Bankensystem mit niedrigeren Zinsen? Das ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera – ein Mittelweg wird vermutlich nicht zu finden sein. Klar ist: Kollabiert das Bankensystem, würde das große Schockwellen in weiten Teilen der Wirtschaft auslösen.
Wie sehen Sie in diesem Spannungsfeld die Wirtschaft im Bergischen Land mit ihrem hohen Industrieanteil aufgestellt?
Lohmann: Hier werden Produkte gefertigt, die die Welt braucht – heute und in Zukunft. Das stimmt mich grundsätzlich positiv. Problematisch ist die Energiefrage. Wir erleben, dass die Kosten in diesem Bereich massiv gestiegen sind. Vor allem die energieintensiven Branchen konkurrieren auf dem Weltmarkt mit Unternehmen, die teilweise nur ein Viertel oder weniger für Energie ausgeben müssen, um die gleichen Waren zu fertigen. Wenn der Standort gestärkt werden soll, muss man sich primär darüber Gedanken machen. Das ist für die produzierenden Unternehmen gegenwärtig die drängendste Frage.
Zur Person
Prof. Christian Lohmann, geboren 1981, studierte an der Technischen Universität Dresden und der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er promovierte. Von 2009 bis 2018 war er Inhaber der Juniorprofessur für Controlling an der Schumpeter School of Business and Economics der Bergischen Universität. Aktuell ist er außerplanmäßiger Professor am Lehrstuhl für Controlling. In den vergangenen Jahren lag einer seiner Forschungsschwerpunkte auf Insolvenzprognosen für Unternehmen. Dabei werden aus historischen Daten und Strukturmerkmalen Rückschlüsse auf aktive Firmen gezogen. Lohmann hat dieses Vorgehen mit der Gründung von BRAINKRUPTCY in die Praxis übertragen. Die Firma ist auf Insolvenzprognosen von börsennotierten US-Unternehmen spezialisiert.