Gesetzentwurf der Ampelkoalition
Was für die Cannabis-Legalisierung spricht - und was dagegen
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Polizeigewerkschaft und Drogenberatung begrüßen Gesetzesentwurf, sehen aber Verbesserungsbedarf.
Von Kristin Dowe und Melissa Wienzek
Remscheid. Kaum ein Thema teilt die Bergischen so wie das Kiffen in zwei Lager. Den aktuellen Gesetzesentwurf der Ampelkoalition sehen die Experten im Städtedreieck unterschiedlich. Der sieht vor, den Besitz von maximal 25 Milligramm „Genusscannabis“ zu erlauben – diese Menge darf straffrei in der Öffentlichkeit mitgeführt werden. Im Hinblick auf den Anbau dürfen lediglich drei weibliche blühende Pflanzen selbst aufgezogen werden, zudem ist der Konsum den Plänen zufolge nicht in der Nähe von Kitas und Schulen gestattet. Möglich sein soll dieser vorerst nur im Rahmen von nicht gewinnorientierten Vereinen, sogenannten „Social Clubs“, die Cannabis gemeinschaftlich zu Genusszwecken anbauen und an ihre Mitglieder abgeben dürfen. Aus dem Bergischen sind bislang noch keine Pläne für die Gründung solcher Vereine bekannt. Wir haben uns an den diversen Stellen umgehört.
Frank vom Scheidt, Vorsitzender der Ortsgruppe Bergisches Land des Deutschen Hanfverbandes und Grünen-Politiker: Auch wenn eine umfassende Cannabis-Legalisierung noch in weiter Ferne liegen dürfte – für Frank vom Scheidt sind die Pläne der Bundesregierung ein vernünftiger Anfang: „Die Entkriminalisierung der Konsumenten ist ein Riesenschritt nach vorne“, findet der Remscheider Grünen-Politiker. „Natürlich ist es bedauerlich, dass eine staatlich kontrollierte Abgabe von Cannabis in geprüften Fachgeschäften vorerst europarechtlich noch nicht möglich sein wird.“ Für Frank vom Scheidt geht mit der Teillegalisierung vor allem eine Entlastung der Justiz einher: „Wir haben 160 000 Verfahren wegen Cannabisbesitz im Jahr. Mit dem neuen Gesetz werden davon dann wohl auch einige Verfahren eingestellt und die Beschuldigten Amnestie erhalten. Das finde ich auch vollkommen richtig.“ Zwar sei eine Abgabe in lizenzierten Fachgeschäften perspektivisch ein gangbarer Weg, von einer pauschalen Verharmlosung von Cannabis will vom Scheidt gerade mit Blick auf junge Menschen dennoch nicht reden: „Die psychologische Wirkung sollte nicht marginalisiert werden.“
Suchtberatung der Diakonie: Alexandra Wagner, Heike Würker und Michael Drost rechnen nicht mit mehr Süchtigen. Denn wer nur gelegentlich mal wenig kiffe, müsse nicht zwingend sofort abhängig werden. Hier müsse man unterscheiden zu einem Konsumenten, der oft und viel rauche. Wohl aber rechnen sie mit mehr Konsumenten und einem damit einhergehenden erhöhten Beratungs- und Präventionsbedarf. „Deshalb sehen wir es als erforderlich an, Angebote gezielt auszuweiten“, sagt Würker. Eine solche Kooperation mit Beratungsstellen scheine aber auch im Entwurf verankert zu sein. „Das muss aufgefangen werden“, sagt auch Drost. Auf jeden Fall sollte der THC-Gehalt in der Abgabemenge staatlich kontrolliert werden. „Denn die vorgesehene Menge von 25 Gramm reicht, um süchtige Strukturen zu entwickeln“, meint Drost. Positiv: Konsumenten kämen aus der illegalen Ecke heraus – und hätten so vielleicht auch einen leichteren Zugang zu Beratungsangeboten.
Heinz-Wilhelm „Doc“ Esser, Lungenfacharzt: Was den Pneumologen an der Freigabe „extrem stört“, ist das Problem des passiven Mitkiffens – wie beim passiven Mitrauchen. Das sei durch Studien gut belegt. Gerade bei den 14- bis 17-Jährigen habe man es gerade mit einem extremen Anstieg an neuen Rauchern zu tun. „Man nimmt als passiver Mitkiffer eine recht hohe Konzentration von THC und krebserregenden Stoffen auf.“ Zum anderen werde Cannabis ja nicht pur geraucht, sondern als Joint mit anderen Erzeugnissen vermischt – und die seien oft krebserregend. Kritisch sieht der Leiter der Sektion Pneumologie am Sana-Klinikum auch die Freigabe-Menge. „25 Gramm sind fast 70 Joints.“ Vor allem bei Heranwachsenden schädige Cannabis bei regelmäßigem Konsum das Gehirn. Auf der anderen Seite mache die Legalisierung insofern Sinn, als dass der Verkauf kontrolliert und Cannabis nicht mehr so stark mit Substanzen gestreckt werde. Aber: „Alles, was inhaliert wird, schädigt die Lunge.“
Streetworkerin Amelie Sophie Preyss: Der Gesetzesentwurf könne einige aus der Illegalität herausholen, meint die Streetworkerin. Sie könne die Bedenken einer Suchtgefahr zwar verstehen. „Aber anhand der Volksdroge Nummer 1, Alkohol, sieht man auch: Es gibt Menschen, die werden abhängig, und andere wiederum nicht.“ Gleiches könnte auch für Cannabis-Konsumenten gelten. Wobei diejenigen, die es konsumieren wollten, es ohnehin täten. Die Legalisierung könnte, sofern sie wissenschaftlich begleitet werde, einen guten Weg nehmen, denkt Preyss. In ihrer täglichen Arbeit mit den jungen Remscheiderinnen und Remscheiderin ist das Kiffen kein großes Thema.
Polizeigewerkschaft:Für die Polizei bringe die neue Regelung eine gewisse Entlastung etwa bei Kontrollen mit sich, berichtet Björn Lüdtke, Sprecher der Kreisgruppe Bergisches Land der Gewerkschaft der Polizei. „Das ist ein zweischneidiges Schwert“, findet er. „Auf der einen Seite brachte bisher jeder kleine Verstoß einen riesigen Bearbeitungsaufwand mit sich, der sich mit der neuen Gesetzeslage vermutlich reduzieren würde. Auf der anderen Seite sehe ich die Gefahr, dass es für Dealer einfacher werden könnte, mit einem Fuß in die Legalität zu gehen. Diesen Effekt haben wir auch in den Niederlanden beobachtet.“ Auch mit der neuen Gesetzeslage dürften sich Kontrollen für Polizeibeamte zuweilen schwierig gestalten. „Wie will ich denn bei einer Wohnungsdurchsuchung feststellen, ob es sich um eine männliche oder eine weibliche Pflanze handelt?“
Suchtberatung
Informationen und Beratung erhalten Betroffene, Fachkräfte und Eltern bei der Fachstelle Sucht der Diakonie im Kirchenkreis Lennep am neuen Standort Schulgasse 1, Tel. (0 21 91) 59 16 00; E-Mail: sb.remscheid@diakonie-kklennep.de. Online-Beratung: evangelische-beratung.info/ sucht-remscheid
Kommentar: Nur ein erster Schritt
Der aktuelle Gesetzesentwurf der Ampelkoalition zur Cannabis-Legalisierung ist ein klassischer „Zweiteiler“: Kaum ein Thema wird derzeit so heftig diskutiert, kaum eines polarisiert so sehr. Auf der einen Seite würde dadurch nicht nur die Justiz entlastet, sondern würden vor allem Konsumenten aus der Illegalität herausgeholt. Und die sind nicht nur alle Genusskiffer, sondern teilweise auch wirklich krank und benötigen medizinisches Cannabis.
Die Nachbarn in den Niederlanden haben es vorgemacht: eine staatlich kontrollierte Abgabe samt Entkriminalisierung. Davon könnten wir lernen. Allerdings sollten die Folgen keinesfalls verharmlost werden. Gerade bei Kindern und Jugendlichen kann der Konsum bleibende Schäden hinterlassen, was ihre Gehirnentwicklung angeht. Und auch das passive Mitkiffen ist schädlich. So wie alles, was inhaliert wird. Der Entwurf kann daher nur ein erster Schritt sein, der genau beobachtet und wissenschaftlich begleitet werden sollte.