Geschichte

Vor 90 Jahren: Fackelzüge und Schüsse

Mit Fackelzügen feiern die Nationalsozialisten in Remscheid die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.
+
Mit Fackelzügen feiern die Nationalsozialisten in Remscheid die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler.
  • Axel Richter
    VonAxel Richter
    schließen

Hitler an der Macht: Nazis und ihre Gegner lieferten sich erbitterte Straßenschlachten.

Von Axel Richter

Remscheid. Als sich der Mitgefangene im KZ Kemna die Pulsadern öffnet, schlägt Edelbert Schumacher nicht Alarm. Er lässt es geschehen. Doch die Nazis dulden es nicht, wenn ihre Gefangenen sich das Leben nehmen. Sie allein sind es, die über Leben und Tod entscheiden. Für sein Schweigen lassen sie den Remscheider Kommunisten Edelbert Schumacher deshalb büßen. Mit Folter und Misshandlungen.

Kemna ist nur der Anfang. Das Lager an der Wupper zwischen Oberbarmen und Beyenburg errichten die Nationalsozialisten nur ein Jahr nach der Machtübernahme, um an ihren Gegnern Rache zu nehmen. Davon gab es einige in der Industrie- und Arbeiterstadt Remscheid. Schon 1931 lieferten sich Nazis und Linke Straßenschlachten. Heute vor 90 Jahren begehrt das „rote Remscheid“ dann noch einmal auf gegen Hitler und die Diktatur.

Am 30. Januar 1933 hatte der greise Reichspräsident Paul von Hindenburg dem Gefreiten aus Braunau zum Reichskanzler ernannt. Während die Nazis in Berlin Fackelzüge veranstalten, bleibt es in Remscheid vergleichsweise ruhig. Auch vielen Remscheidern gilt Hitler als Erlöser in chaotischer Zeit. Als Retter vor Arbeitslosigkeit und Parteienzwist.

„Am Abend rotteten sich größere Menschenmassen zusammen.“

RGA vom 3. Februar 1933

Der Remscheider General-Anzeiger stimmt mit ein in die Hitler-Euphorie. Vor einem national konservativen besitzbürgerlichen Hintergrund ist ihm die „rechte Ordnung“ lieber als die „rote Gefahr“. Entsprechend berichtet der Tüpitter über die Proteste, zu denen es Anfang Februar kommt: „Besonders am Markt herrschte Hochbetrieb, am Abend rotteten sich größere Menschenmassen zusammen, die Niederrufe auf die neue Regierung ausbrachten. Einige Zeit nachher fielen auf der Freiheitstraße in der Nähe des nationalsozialistischen Heims einige Schüsse.“

Um die Menschenmassen zu zerstreuen, kommt berittene Polizei zum Einsatz. Doch die Unruhen dauern an. Am 3. Februar marschieren 500 SA-Männer und Angehörige des Stahlhelm in einem Fackelzug durch die Stadt. „Auf dem ganzen Wege waren die Straßen von einer dichten Menschenmenge gesäumt“, berichtet der RGA. „Nieder mit Hitler!“, heißt es vom Straßenrand. Wieder leisten sich Braunhemden und Linke Straßenschlachten. Tage später auch in Hasten, wo die Nazis die Parole „Fahnen heraus! Das neue Deutschland marschiert“ ausgeben.

Ein halbes Jahr später rechnen die neuen Machthaber mit ihren politischen Gegnern ab. Nach dem Brand des Reichstages im Februar 1933 setzen die Nazis zentrale Grundrechte außer Kraft. Auch das neu gegründete KZ Kemna ist bald überfüllt mit politischen Gefangenen.

1948 berichtet der RGA über den Prozess gegen die Wachmannschaft des KZs. 30 ehemalige SA-Leute sitzen auf der Anklagebank, Am 15. Mai spricht das Wuppertaler Landgericht sein Urteil: Die Todesstrafe für den ehemaligen Lagerkommandanten wird später in eine Freiheitsstrafe umgewandelt, vier SA-Männer erhalten eine lebenslängliche Freiheitsstrafe, zwölf andere Haftstrafen zwischen 15 Jahren und zwölf Monaten.

Täter und Opfer dürften sich mithin auch später wieder begegnet sein. So wie vor der Machtübernahme durch die Nazis. Auch in Kemna kannten sich Insassen und Wachmannschaften oft persönlich; sie hatten sich bereits auf der Straße gegenüber gestanden.

Kreishaus und KZ Kemna

Nach den Straßenschlachten im Zuge der Machtübernahme berichtete der RGA am 10. April 1933 über die neuen Herren im ehemaligen Lenneper Kreishaus. SS und SA haben es nach Hitlers Stellvertreter Hermann Göring benannt und verhören darin ihre politischen Gegner. Viele von ihnen landen im KZ Kemna. Es existierte nur ein halbes Jahr – von Juli 1933 bis Januar 1934. In dieser Zeit halten die Nazis dort 4500 Menschen gefangen. Viele sterben an Folter und Misshandlung, andere nehmen sich das Leben.

Unsere News per Mail

Nach der Registrierung erhalten Sie eine E-Mail mit einem Bestätigungslink. Erst mit Anklicken dieses Links ist die Anmeldung abgeschlossen. Ihre Einwilligung zum Erhalt des Newsletters können Sie jederzeit über einen Link am Ende jeder E-Mail widerrufen.

Die mit Stern (*) markierten Felder sind Pflichtfelder.

Meistgelesen

Hier wäre Platz für neue Wohnungen
Hier wäre Platz für neue Wohnungen
Hier wäre Platz für neue Wohnungen
Stein auf Bus geworfen - 24-Jährige am Kopf verletzt
Stein auf Bus geworfen - 24-Jährige am Kopf verletzt
Stein auf Bus geworfen - 24-Jährige am Kopf verletzt
GWG wird Nachbar Hunderter ihrer Wohnungen
GWG wird Nachbar Hunderter ihrer Wohnungen
GWG wird Nachbar Hunderter ihrer Wohnungen
Grundsteuer steigt in Remscheid: So könnte die Mehrlast verringert werden
Grundsteuer steigt in Remscheid: So könnte die Mehrlast verringert werden
Grundsteuer steigt in Remscheid: So könnte die Mehrlast verringert werden

Kommentare