Grundschule
Kein OGS-Platz: Mutter muss Job aufgeben und Bürgergeld beantragen
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Lisa-Marie Hollunder ist eine von Hunderten Müttern, deren Kind auf der Warteliste für Ganztagsbetreuung steht. Ihr Beispiel zeigt, was eine Absage für Familien bedeuten kann.
Von Sven Schlickowey
Remscheid. Fast 400 Kinder stehen derzeit in Remscheid auf einer OGS-Warteliste, an vielen Grundschulen fehlen Plätze. Die Folgen sind in vielen Fällen ärgerlich, in manchen sogar dramatisch. So wie bei Lisa-Marie Hollunder. Die 28-Jährige musste nach dem Wechsel ihres ältesten Sohnes von der Kita in die Grundschule ihren Job aufgeben. Und ist nun gezwungen, Bürgergeld, das frühere Hartz IV, zu beantragen.
Seit vergangenem Sommer besucht ihr Sohn die Grundschule Dörpfeld, wo er zwar einen Platz in der Schule, nicht aber in der OGS bekam. Deswegen wird er nun nicht mehr wie im Kindergarten bis 16 Uhr betreut, sondern kommt meist schon um 11.35 Uhr heim.
Mit ihrer Vollzeitstelle habe sich das nicht vereinbaren lassen, sagt Lisa-Marie Hollunder. Auch verschiedene Teilzeitstelle und Minijobs hätten nicht funktioniert. Der kurze Zeitraum, der ihr am Vormittag zur Verfügung stehe, sei einfach zu eng bemessen. Zudem hätten alle Arbeitgeber irgendwann entgegen vorheriger Absprache verlangt, dass sie auch mal am Nachmittag arbeitet: „Das war der absolute Horror.“
So wurde die gelernte Bürokauffrau arbeitslos, landete beim Jobcenter. Bis das ihren Bürgergeld-Antrag bewilligt hat, lebt sie vom Kindergeld und dem Unterhalt, den der Vater ihrer Kinder zahlt. Etwa 850 Euro monatlich seien das, sagt sie. Bis ihr Bürgergeld-Antrag durch ist, gehen davon aber noch 250 Euro für die Krankenversicherung ab.
„Man fühlt sich irgendwann nutzlos“, sagt Lisa-Marie Hollunder. Hinzu kämen die finanziellen Probleme. Um dem zu entgehen, plane sie nun, sich als Haushaltshilfe selbstständig zu machen: „Ich bin kein Mensch, der anderen gerne auf der Tasche liegt.“ Das Problem mit dem engen Zeitfenster bleibt aber.
OGS: Stadt Remscheid legt Kriterien für Zu- und Absagen fest
Wirklich helfen könne ihr nur ein OGS-Platz, sagt die junge Mutter - und hofft, dass ihr Sohn im Sommer nicht noch einmal leer ausgeht bei der Vergabe. Wenn dann der jüngere Bruder nächstes Jahr folgt, hätte er als Geschwisterkind ebenfalls gute Chancen. Andernfalls ist jetzt schon absehbar, dass sich die Situation in den nächsten fünfeinhalb Jahren kaum verändert.
Dazu auch der Kommentar: Es braucht den Druck.
OGS-Plätze werden in Remscheid nach von der Stadt festgelegten Kriterien vergeben, erklärt Matthias Spaan vom Verein Die Verlässliche, dem größten OGS-Anbieter in Remscheid. Punkte gibt es zum Beispiel für Berufstätigkeit der Eltern, nachteilige Lebensumstände oder wenn ein Geschwisterkind ebenfalls an der OGS betreut wird. Die Kriterien seien öffentlich zugänglich, sagt Spaan: „Wir verschicken sie zusammen mit der Beitragstabelle an die Eltern.“
Einige Grundschulen haben keine Warteliste - bei anderen gegen 50 Kinder leer aus
Das Problem ist aber, dass die Eltern nicht abschätzen können, was die Kriterien für sie bedeuten. Je nach Nachfrage und Situation der anderen Bewerber reichen an manchen Schulen schon niedrige Punktzahlen für einen Platz, während an anderen auch Bewerber mit sieben von maximal neun möglichen leer ausgehen. An fünf Remscheider Grundschulen gibt es derzeit keine Warteliste für die OGS. An der Grundschule Dörpfeld stehen auf ihr über 50 Kinder.
Diese Zahlen hat die Stadt Remscheid im Februar 2023 zu Plätzen und Wartelisten für Ganztagsbetreuung an Grundschulen in Remscheid veröffentlicht:
vergebene Plätze | Warteliste |
2548 | 381 |
Und die Situation werde sich noch verschärfen, prophezeit Matthias Spaan. Dabei seien die Möglichkeiten der Eltern begrenzt. Die OGS-Nachfrage bei der Schulwahl zu berücksichtigen sei wohl nicht für jeden möglich. Viel mehr als dem Träger alle relevanten Informationen mitzuteilen, also auch auf besondere Lebensumstände hinzuweisen und pädagogischen Bedarf glaubhaft zu machen, bleibe meist nicht übrig.
Verlässliche: Es sind einfach zu wenig Plätze - mehr Kreativität gefragt
Es brauche einfach mehr OGS-Plätze, sagt Spaan, und dafür mehr Räume. Zum Beispiel in Anbauten oder Gebäuden in der Nähe der Schule, aber auch, indem geeignete Klassenräume nachmittags doppelt genutzt werden. Auch Lisa-Marie Hollunder wünscht sich mehr Kreativität, um passende Räume zu finden. Und eine konkretere und ehrliche Kommunikation mit den Eltern.
Vor allem wünscht sie sich einen OGS-Platz. „Mein Sohn ist wirklich glücklich in seiner neuen Schule“, sagt sie. „Aber das nützt mir nichts, wenn ich meine Familie nicht ernähren kann.“
Das sind die OGS-Kriterien in Remscheid
Über die Vergabe von OGS-Plätzen entscheidet die jeweilige Leitung in Abstimmung mit der Schulleitung, dabei kommen stadtweit die gleichen Kriterien zur Anwendung. Für die Berufstätigkeit aller mit dem Kind im Haushalt lebenden Erziehungsberechtigten gibt es drei Punkte, je zwei für Kinder in benachteiligten Lebenssituationen und solche, bei denen ein OGS-Besuch aus pädagogischen Gründen wichtig ist, je einen weiteren Punkt erhalten Schüler der ersten und zweiten Klasse, sowie Geschwisterkinder.
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung: Stufenweise ab 2026
Einen Anspruch auf Ganztagsbetreuung gibt es in NRW noch nicht. Der Bund hat den stufenweisen Rechtsanspruch ab 2026 beschlossen. In NRW hat im Dezember 2022 „Expertenbeirat zur Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder in Nordrhein-Westfalen“ die Arbeit aufgenommen. Ab dem Schuljahr 2026/27 sollen der Rechtsanspruch auf Betreuung bis 16 Uhr für Erstklässler gelten, ab 2027 für die ersten beiden Klassen, ab 2028 für die ersten drei Jahrgänge und ab 2029 schließlich für alle Grundschüler in NRW.