Verkehrssicherungspflicht
Zu gefährlich: 2021 wurden 253 geschützte Bäume gefällt
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Gefällt wird zur Gefahrenabwehr. Große Bäume schützt die Baumschutzsatzung.
Von Timo Lemmer
Remscheid. Im bergischen Städtedreieck machen vermehrt Gefahrenbäume Probleme. Das sind Bäume, die instabil sind und daraufhin aufgrund akuter Gefahr entnommen werden. Auch in Remscheid nimmt die Entnahme an Randlagen von Bebauung oder Verkehrslinien wie Straßen oder Bahnstrecken zu, wie Forstamtsleiter Markus Wolff bestätigt.
Meist sind es Bäume, die in der Baumschutzsatzung unter Schutz gestellt sind. Da hierzu ein Antrag bei der Naturschutzbehörde gestellt werden muss, liegen Zahlen vor: In Folge der drei trockenen Sommer ab 2018 sei bei der gefahrenbedingten Entfernung geschützter Bäume ein Anstieg zu verzeichnen, berichtet die Pressereferentin der Stadt, Viola Juric. Auf 110 Baumentfernungen 2019 folgten 155 (2020). Besonders groß ist der Ausschlag aber 2021: 253 geschützte Bäume mussten weichen, wie die Zahlen von Naturschutzbehörde und Technischen Betrieben Remscheid (TBR) ergeben.
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Primäres Gebot ist die Verkehrs- sicherungspflicht.
Laut Baumschutzsatzung der Stadt Remscheid sind Bäume geschützt, die einen Meter über dem Erdboden einen Stammumfang von mindestens 120 Zentimeter aufweisen. Sie dürfen ohne Antrag nicht gefällt werden.
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Fällungen haben ihre Gründe
Auf Verständnis stößt die Fällung dieser, aber auch anderer Bäume durch Stadt oder private Waldbesitzer nicht immer, wie Wolff weiß. Viele würden eine vermeintliche Kluft erkennen (wollen) zwischen dem propagierten Umweltschutz und den Baumfällungen im öffentlichen Bereich: „Unser primäres Gebot ist dabei die Verkehrssicherungspflicht“, erklärt er.
Gefällt wird, weil die Sicherheit von Personen in Gefahr ist, wenn Bäume ihre Standfestigkeit einbüßen. Ihm blute dabei immer wieder das Herz, sagt Wolff. Die Sicherheit sei aber oberste Aufgabe: „Wenn wir Bäume entfernen, hat das immer einen Grund.“
Fakt sei, sagt er, „dass der Klimawandel bedingt, dass die Zahl kranker und absterbender Bäume zugenommen hat.“ Im Rahmen einer Kampagne hatte die Stadt im November 2021 darauf hingewiesen, dass das Betreten von Wäldern immer auf eigene Gefahr erfolgte – die Verkehrssicherungspflicht greift hier nur an neuralgischen Punkten. Wolff erinnert mit Blick auf das urbane Gebiet zudem daran, dass viele Stadtbäume im Sinne ihrer Gesundheit sowieso schlechte Standorte hätten: „Und dazu haben sich eben die Defektsymptome verschärft.“ Eine oft tödliche Kombination.
Gegenmaßnahmen ergriffen, Stadtbaumkonzept in Arbeit
Derweil dürfe der Blick auf die bloße Zahl der Entnahmen nicht zu Panik führen. „Wichtig ist der Saldo“, findet Wolff. Das sei in den vergangenen Jahren mit der höheren Entnahmequote zwar im roten Bereich gewesen, aber man sei bemüht, möglichst viel nachzupflanzen. Aktuell erhält zum Beispiel Lennep 55 neue Bäume im Bereich Altstadt und Hackenberg. Und: Inzwischen wird überall dort, wo es möglich ist, nicht bloß gefällt, sondern der tote Baum in vier bis sechs Metern Höhe gekappt. Für Natur, Tiere und Anwachsen neuer Bäume sei das Totholz extrem wertvoll. Kaltblut Elli packt beim Waldumbau mit an
Dass die TBR der Verkehrssicherungspflicht gut nachkommen würden, sieht Wolff in dem Umstand untermauert, dass Personenschäden bislang ausgeblieben seien. Lediglich Autoschäden durch umfallende Bäume seien zu beklagen. Aufgrund der Dimensionen, die zu überwachen und sichern seien, eine gute Bilanz. Der Leiter des Stadtforstamts: „Im Remscheider Stadtgebiet sind wir für 2300 Hektar Wald zuständig. Dabei gibt es mindestens 200 Kilometer, an denen Wald an Verkehrslinien und Bebauung grenzt. Die Überwachung solcher Linien ist für uns Tagesgeschäft.“
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Zahlen
Remscheid: Das Forstamt betreut die 31 Prozent Waldfläche auf dem Stadtgebiet. Der Remscheider Wald ist in drei Forstreviere aufgeteilt. Privatwaldbesitzer sind im Forstverband Remscheid zusammengeschlossen.
Nachbarstädte: In Wuppertal meldet die Forstabteilung eine Verfünffachung der Fällungen an Waldrändern im Vergleich zu vor der Dürre, in Solingen sind 2020 dreimal so viele Gefahrenbäume entfernt worden wie früher.
Standpunkt: Hohe Sensibilität
Ein Kommentar von Timo Lemmer
Die Sensibilität der Menschen für ihre Umwelt scheint gestiegen. Wird irgendwo ein Baum gefällt, muss gar eine Baumgruppe oder gleich ein Teilstück eines Waldes weichen, ist stiller, manchmal auch lauter Protest programmiert. Dafür ist es auch erst einmal unerheblich, ob es sich um ein Bau- oder Straßenprojekt handelt – oder doch nur eines im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht. Davon wissen die TBR-Experten ein Lied zu singen. Doch nicht nur die menschliche Rücksicht auf die Natur – zumindest im Kleinen – ist glücklicherweise gestiegen. Vielmehr legen die städtischen Entscheidungsträger selbst hohe Sensibilität an den Tag. Mindestens 20 000 Stadtbäume haben Markus Wolff und sein Team unter ihren Fittichen. Dem Förster missfällt es selbst, wenn durch Klimaschäden für so viele davon nur noch der Gnadenschuss bleibt. Die Zeiten, in denen das pro Jahr rund 50 Bäume waren, sind vorerst vorbei. Aber: Das gewährt einerseits die Sicherheit für Mensch und Verkehr, und bietet andererseits die Chance, robustere Bäume – oft an besseren Orten – zu setzen. Die Entnahme ist kurzfristig, der Umbau sichert langfristiges Grün.