Interview der Woche
Psychotherapie: Neue Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche
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Aleksandra Kaurin und Anna Ball bauen an der Bergischen Uni eine Einrichtung für Kinder und Jugendliche auf. Lehr-Praxis stößt auf riesige Versorgungslücke.
Das Gespräch führte Alexandra Dulinski
Frau Kaurin, Sie sind seit Dezember Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters. Was haben Sie seitdem hier gemacht?
Aleksandra Kaurin: Wir haben uns mit dem Aufbau der Hochschulambulanz beschäftigt. Bevor wir unsere ersten Patienten einladen können, muss unfassbar viel geregelt werden, wir brauchen Verträge mit den Krankenkassen, wir müssen Personal einstellen, Räume einrichten. Zudem müssen wir unsere Forschungsprojekte hierher übertragen. Auch Vorlesungen habe ich schon gehalten.
Es soll eine Hochschulambulanz entstehen. Wie genau sieht die aus?
Kaurin: Sie soll in der Rathaus-Galerie entstehen, das ganze psychologische Institut zieht um. Es ist im Prinzip eine ganz normale Einrichtung, in der Psychotherapie für Kinder und Jugendliche und ihre Familien angeboten wird. Als Universität haben wir einen Lehrauftrag. Wir sind vom reinen Versorgungsauftrag befreit. Wir machen Forschungs- und Lehrtherapien im Rahmen des neuen Masterstudiengangs Klinische Psychologie und Psychotherapie, der ab Oktober angeboten wird. Das sind meistens sehr kurze, strukturierte Therapien, an denen die Studierenden teilnehmen und sie zum Teil auch selbst übernehmen – natürlich unter Anleitung eines approbierten Psychotherapeuten.
Anna Ball: Die approbierten Psychotherapeuten müssen die komplette Bandbreite abdecken, von dem Baby bis hin bis zum Volljährigen. Wir dürfen bis zum vollendeten 21. Lebensjahr behandeln. Wir wollen Schwerpunkte setzen. Da schauen wir, ob es in Wuppertal Nischen gibt, die besonders dringend abgedeckt werden müssen.
Gibt es da schon Erkenntnisse?
Kaurin: So weit sind wir in der Recherche noch nicht. Ganz unabhängig davon ist gerade eine ganz wichtige Zeit, eine Ambulanz aufzubauen. Die Kinder sind in einer wichtigen Entwicklungsphase. Im Zuge der Pandemie ist das Belastungserleben stärker geworden. Wir werden viel mit den Ausläufern der Pandemie zu tun haben, begonnen beim Zurechtkommen in der Schule, dem Zusammensein mit anderen Kindern. Möglicherweise müssen wir Entwicklungsmeilensteine nachholen. Ein zweiter Punkt sind die Forschungsschwerpunkte am Lehrstuhl, die sich direkt übertragen lassen. Meine Schwerpunkte liegen beim selbstverletzenden Verhalten von Kindern und Jugendlichen und suizidalen Gedanken und Absichten.
Wie lässt sich die Ambulanz mit der Forschung verknüpfen?
Kaurin: Forschung ist immer so angelegt, dass wir Daten von den Patienten generieren können, die dann in unsere Therapien einfließen. Das funktioniert durch ganz klassische Forschungsprojekte, bei denen die Patienten nicht direkt eine Rückmeldung geben, sondern lediglich ihre Daten spenden. Eine patientenorientierte Forschung ist auch geplant. Wir wollen Patientenräte einberufen, die uns erzählen können, ob sie unsere Fragen verstehen und was wir besser machen können. Sie sollen mit einbezogen werden.
Das klingt sehr umfangreich. Wie viele Menschen werden daran beteiligt sein?
Kaurin: In unserer Abteilung am Lehrstuhl gibt es zwei bis drei Doktoranden und zwei Postdoktoranden sowie viele studentische Hilfskräfte. Die Zahl ist aber variabel. Wir haben ein relativ großes Forschungsteam. In der Ambulanz sind es noch mal so viele plus all die Psychotherapeuten, die bei uns angestellt sein können. Wir würden gerne heute anfangen. Das geht aber nicht, weil wir auf Behörden und Ämter warten müssen. Wir schätzen, dass wir definitiv im Oktober den Betrieb aufgenommen haben.
Wieso ist es so wichtig, dass es diese Ambulanz in Wuppertal gibt?
Kaurin: Das hat zum Einen einen ganz pragmatischen Grund: Weil sonst dieser Approbationsstudiengang nicht funktionieren würde. Um sicherzustellen, dass die Staatsexamensprüfung angetreten werden kann, müssen die Studierenden mindestens ein Kind zwölf Stunden lang behandelt haben. Das ist eine Auflage im Sinne der Nachwuchsförderung. Des Weiteren gibt es ein riesengroßes Versorgungsdefizit. Die Wartelisten sind lang. Unsere Ambulanz hat sich nun herumgesprochen und ich habe schon diverse Anfragen bekommen. Es gibt einen unfassbaren Bedarf an Psychotherapie. Den gab es vorher schon und ist durch die Pandemie gestiegen.
Ball: Und auch durch den Krieg. Das ist noch gar nicht in Zahlen abgebildet.
Wie hat sich denn die Symptomatik verändert?
Kaurin: Die Kinder aus der Ukraine sind ganz normal in unserem System erfasst. Insofern verschiebt sich die Symptomatik, weil wir hochtraumatisierte Kinder haben. Zum Krieg und zur Pandemie kommt die Umweltkrise hinzu. Es ist eine interessante Zeit, in der wir viele Zukunftsängste beobachten.
Ball: Es ist auch eine höhere Sensibilisierung da. Lehrer werden viel eher aufmerksam und wissen nicht, wohin sie die Kinder schicken sollen. Es ist auch ein Bewusstsein dafür geschaffen worden, dass Psychotherapie ökonomisch sinnvoll ist. Die Kinder und Jugendlichen sind die zukünftigen Erwerbstätigen. Das erkennen auch Behörden.
Frau Kaurin, wie kamen Sie zu Ihrem Forschungsschwerpunkt?
Kaurin: Mich hat immer interessiert, warum sich manche Kinder in einer Art und Weise verhalten, die für sie nicht hilfreich ist. In meiner Ausbildung ist mir aufgefallen, dass es dazu kaum Daten gibt. Bisher wurde kaum beachtet, dass Kinder suizidale Gedanken entwickeln können. Durch meinen Post-Doc in Pittsburgh bin ich therapeutisch und empirisch damit in Kontakt gekommen. Das ist ein fester Bestandteil geworden. Unsere Forschungsprojekte sind explizit darauf ausgerichtet.
Ball: Ich habe in der Biopsychologie promoviert und bin Fachhochschullehrerin. Ich möchte das jetzt zusammenführen. Es ist eine Herausforderung, etwas zu schaffen, wo die Studierenden aufgefangen sind, wir sie gut ausbilden können und gleichzeitig für die Patienten einen sicheren Ort haben. Dazu kommt die Lehre. Das ist eine reizvolle Umgebung.
Personalien
Aleksandra Kaurin (33): Sie ist Lehrstuhlinhaberin Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und Psychotherapie und Leiterin der Hochschulambulanz. 2019 promovierte sie, im selben Jahr erhielt sie die Approbation zur psychologischen Psychotherapeutin. Von 2019 bis 2021 war sie Post-Doc an der University of Pittsburgh. Es folgte eine Juniorprofessur für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Universität Witten/Herdecke, bis sie im Dezember 2022 nach Wuppertal wechselte.
Anna Ball (38): Sie ist stellvertretende Leiterin der Hochschulambulanz. 2012 promovierte sie an der Ruhr-Universität Bochum, 2013 erhielt sie ihre Approbation zur Psychologischen Psychotherapeutin. Von 2017 bis 2022 war sie Professorin und Studiendekanin der Studiengänge Bachelor und Master of Science Psychologie an der Hochschule Döpfer in Köln.
Stellen: An einer Stelle interessierte Psychotherapeuten oder Verwaltungsfachangestellte können sich bei Aleksandra Kaurin melden: kaurin@uni-wuppertal.de