Krieg in der Ukraine
Nach Flucht aus Kiew: Vitali kann endlich wieder aufs Wasser
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Bergische Vereine setzen sich für den jungen Kanusportler aus der Ukraine ein – Wohnung gesucht.
Von Melissa Wienzek
Remscheid. Es ist wohl eine der quälendsten und emotionalsten Fragen überhaupt: Was nehme ich mit, wenn ich flüchten muss? Während viele Menschen aus der Ukraine wahrscheinlich Lebensmittel, Kleidung und Fotos der Familie in ihre Rucksäcke packten, war der Fall für Vitali (17) klar: seine Medaillen, seinen Sportanzug und seinen Spritzschutz fürs Kanu. Und seine Katze. So war nur noch Platz für ein T-Shirt, mehr nicht. Gemeinsam mit seinem Vater Olexander (51) traten sie am 6. März die beschwerliche Flucht von Kiew Richtung polnische Grenze an, begleitet von Sirenen.
Olexander Bilous, der in der Ukraine in einem Reisebüro gearbeitet hat, brachte die Flucht an den Rande seiner Kräfte. Er hat eine starke Gehbehinderung. Sechs Tage zu Fuß auf Krücken – man mag es sich kaum vorstellen. „Deshalb mussten wir zwei Tage an der Grenze bleiben. Ich brauchte medizinische Hilfe. Und wir waren so müde.“ Auch sein Sohn Vitali habe immer mehr abgebaut. „Er war in schlechter Verfassung“, erklärt Olexander Bilous auf Englisch. Denn Vitali musste nicht nur seine Familie, seine Freunde und sein Zuhause in Kiew zurücklassen, sondern auch das, wofür sein Herz schlägt: den Kanusport.
Sie half uns, dass wir uns zu Hause fühlten
An der ukrainisch-polnischen Grenze fasste Olexander Bilous dann den Entschluss: „Wir gehen nach Westdeutschland.“ Er sei bereits früher einmal in Dortmund gewesen, Verwandte von ihm haben in Stukenbrock gelebt. Über verschiedene Wege sei man schließlich an eine Familie in Lüttringhausen geraten. Am 12. März, sechs Tage nach ihrem Aufbruch aus Kiew, kamen Vater und Sohn in Remscheid an. Doch dort konnten sie nicht bleiben. Die private Wohnung lag im zweiten Stock – für Olexander Bilous kaum schaffbar.
Remscheider helfen Olexander und Vitali
Über Facebook wandte sich die Familie an Petra und Robert Köser vom Verein Bergisch Land Hand in Hand, einem Hilfsverein, der sich bereits bei der Flutkatastrophe engagiert hat sowie ein Spendenlager betreibt. Sie kümmerten sich um die beiden. „Das war ein großes Glück für uns“, sagt Olexander Bilous. „Sie half uns, dass wir uns hier zu Hause fühlen.“ Robert Köser und Vitali haben sich mittlerweile sogar angefreundet. Die Kösers halfen, Vater, Sohn und Katze erst einmal in einer städtischen Unterkunft unterzubringen. Die Familie klärte die bürokratischen Dinge, fuhr mit Vitali zum Impfen, besorgte die nötigsten Dinge.
So helfen die Remscheider den Geflüchteten
Und vor allem sorgte sie dafür, dass der junge Leistungssportler wieder aufs Wasser kam. „Ich habe beim Deutschen Kanuverband angerufen und gefragt, was wir machen können. Vitali ist ein Top-Sportler – er musste wieder aufs Wasser“, erklärt Petra Köser, die sich in dem Hilfsverein ehrenamtlich einsetzt. Die Remscheiderin kam so mit Michael Faulstich von der Kanu-Sportgemeinschaft (KSG) Wuppertal in Kontakt. Am 19. März, eine Woche nach seiner Ankunft in Remscheid, konnte Vitali endlich wieder die Paddel in die Hand nehmen. Ein Mädchen lieh ihm ihr Paddel, ein weiteres ein Kajak.
Seitdem fährt Petra Köser sechs Mal die Woche mit Vitali nach Beyenburg. Der Verein hat eine Patenschaft für ihn übernommen. Und Vitali ist glücklich. „Ich liebe es, in der Sonne auf dem Wasser zu sein.“ Von all seinen ukrainischen Teammitgliedern, die nun in alle Länder verstreut sind, war er der erste, der wieder im Kanu saß.
Junger Ukrainer ist erfolgreich im Kanusport
Denn vier Wochen ohne Training ist für einen jungen Mann, der sich mit 25 Medaillen schmücken kann, körperlicher wie mentaler Entzug. Seit er 12 ist, macht Vitali Kanusport. Er fährt Kajak und Drachenboot. Bei der Drachenboot European Nation Championships 2018 belegte er den ersten Platz in der Kategorie 2000 Meter, fünf Mal erlangte er Gold in ukrainischen und europäischen Wettbewerben. Die KSG nahm ihn sogar schon mit zum Leistungstest.
Jetzt hat die KSG Spenden gesammelt, damit Vitali sein eigenes Paddel bekommt. Außerdem haben sie ihn eingeladen, an einem Trainingslager in den Osterferien in Schleswig-Holstein teilzunehmen. Ein Mitglied aus einem befreundeten Verein will dafür die Kosten übernehmen. Denn sie alle sehen das Potenzial dieses jungen Ukrainers. „Ich habe schon richtig Bizeps bekommen“, freut sich Vitali und schiebt ganz stolz das T-Shirt hoch. Auch Papa Olexander Bilous, der schon ein paar Worte Deutsch kann, ist froh: „Es geht ihm jetzt wieder viel besser.“
Wohnung
Der Verein Bergisch Land Hand in Hand sucht eine Zwei-Zimmer-Wohnung für Vitali und Olexander Bilous. Zurzeit leben sie in einer städtischen Flüchtlingsunterkunft gemeinsam mit ihrer Katze. Die Wohnung sollte ebenerdig oder mit Aufzug sein. Die Ausstattung kann der Verein durch sein Spendenlager stellen. Kontakt: Tel. (01 73) 4 72 55 23 oder bergischlandlandhandinhand@web.de.