Interview der Woche

„Herr Wigger, was hat Corona mit den Menschen in Ihrem Altenheim gemacht?“

Andreas Wigger (61) blickt zurück auf die Hochphase der Pandemie in Remscheid. Im Mai 2020 hatte das Coronavirus den Weg in in sein Haus Clarenbach gefunden.
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Andreas Wigger (61) blickt zurück auf die Hochphase der Pandemie in Remscheid. Im Mai 2020 hatte das Coronavirus den Weg in in sein Haus Clarenbach gefunden.
  • Axel Richter
    VonAxel Richter
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Er sagt: „Es gibt Szenen, die gehen mir heute noch nahe.“ Andreas Wigger leitet das Haus Clarenbach, das erste Altenheim mit Corona-Infektionen in Remscheid. Im Interview geht es auch um Wartezeiten, Personal und Energiekosten.

Remscheid. Andreas Wigger (61) blickt im Gespräch mit RGA-Redaktionsleiter Axel Richter zurück auf die Hochphase der Pandemie in Remscheid. Auch, um für die Zukunft daraus zu lernen. Und er schaut auf das, was nach dem Ende der Zeiten des Lockdowns an Herausforderungen vor den Altenheimen liegt.

Herr Wigger, im Mai 2020 brach Corona im Haus Clarenbach aus. Ihr Altenheim war das erste in Remscheid, in das das Virus hineingefunden hatte. Wie haben Ihre Bewohnerinnen und Bewohner die Pandemie überstanden?
Andreas Wigger: Vier von ihnen sind mit Corona gestorben. Alle befanden sich damals bereits in palliativer Versorgung. Alle anderen Infektionen gingen bis heute gottseidank glimpflich aus.
Erinnern Sie sich an den Tag, an dem die Hiobsbotschaft Sie erreicht hat?
Wigger: Ja, es war ein extrem anstrengender Tag. Etliche Patienten mussten umziehen, um für die Infizierten eine Quarantänestation einzurichten. Unser Hausmeister zog Trockenwände hoch, alles musste binnen drei Stunden stehen. Alle haben sehr flexibel agiert. Dabei haben wir uns ja in einer Art Blindflug befunden. Es gab keine Tests. Wir wussten nicht, wie weit das Virus bereits um sich gegriffen hat. Auch in der Mitarbeiterschaft wuchs deshalb die Unruhe. Auch bei mir, dabei musste ich ja allen voran die Ruhe bewahren.

„Viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner haben aus Kummer sogar an Gewicht verloren.“

Andreas Wigger über die Zeit der Isolation
Was haben Sie gemacht?
Wigger: Ich habe gebetet, dass wir keine weiteren schweren Krankheitsverläufe bekommen.
Hat es geholfen?
Wigger: Ja, das hat es. Wir hatten in der Hochphase rund 17 Fälle, dazu 8 infizierte Mitarbeiter. Aber es ging glimpflich aus.

„Es gibt Szenen, die gehen mir heute noch nahe.“ 

Andreas Wigger über den Tod in Zeiten des Lockdowns
Die Heime waren abgeriegelt, Angehörige durften nicht hinein. Wie war das damals?
Wigger: Es war schlimm. Und wir haben das auch nicht auffangen können. Es war eine sehr gedrückte Stimmung im Haus und viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner haben aus Kummer sogar an Gewicht verloren. Das ging ja drei Monate lang so. Wir hatten Bewohner in Palliativbetreuung. Die durften ja noch von ihren Angehörigen besucht werden – aber in Schutzkleidung und mit eineinhalb Meter Abstand. Es gibt Szenen, die gehen mir heute noch nahe. Eine Frau, die am Abend ihrem Mann nur von weitem winken durfte. Und am nächsten Morgen war er gestorben. Ich glaube, da wurde mit mancher Maßnahme weit über das Ziel hinausgeschossen.
Später konnten sich die Menschen impfen lassen. Ausgerechnet unter Pflegekräften gab es Widerstand. Auch bei Ihnen. Haben Sie viel diskutiert im Haus?
Wigger: Nein. Der Kreis war überschaubar. Und die, die sich nicht impfen haben lassen, haben sich dann prompt auch infiziert. Inzwischen sind alle geimpft.

„Frei wird ein Platz letztlich nur aufgrund eines Sterbefalls.“

Andreas Wigger über Wartezeiten
Wie ist die Lage heute?
Wigger: Wir hatten zum Jahresbeginn wiederum einen kleinen Ausbruch. Auch da ist es bei leichten Verläufen geblieben. Aber natürlich fehlen uns die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wenn sie krank ausfallen. Die Schutzmaßnahmen sind deshalb weiterhin richtig und wichtig. Auf der anderen Seite nervt die Maske zum Beispiel sehr. Und sie ist auch sehr hinderlich, zum Beispiel im Umgang mit demenziell erkrankten Bewohnern.
Das Haus Clarenbach ist eine wichtige Institution im Stadtteil Lüttringhausen. Wie lange müssen Angehörige auf einen Pflegeplatz bei Ihnen warten?
Wigger: Das kann ich nicht genau sagen. Wir haben 80 Plätze. Frei wird ein Platz letztlich nur aufgrund eines Sterbefalls.

„Es gibt Anbieter, die locken mit Gehältern, Dienstwagen, Zuschlägen. Da können können wir nicht mithalten.“

Andreas Wigger zur Personalsuche
Ich frage, weil viele Angehörige lange auf einen Pflegeplatz für die Mutter oder den Vater warten müssen.
Wigger: Ja, und hinzu kommen die Fälle aus einer Notsituation, zum Beispiel nach einem Sturzereignis. Immerhin ist die Finanzierung eines Pflegeplatzes für Angehörige heute deutlich besser geregelt. Erst ab einem Jahresbruttoeinkommen von 100.000 Euro müssen Kinder für den Heimplatz der Eltern zahlen. Das ist eine gute Regel.
Die Nachfrage nach Pflegeplätzen dürfte das weiter hochhalten. Haben Sie genug Personal?
Wigger: Ja, glücklicherweise haben wir viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die dem Haus schon seit vielen Jahren die Treue halten. Neues Pflegepersonal zu bekommen, wird immer schwerer. Es gibt Anbieter, die locken mit Gehältern, Dienstwagen, Zuschlägen. Da können können wir nicht mithalten.
Die Inflation trifft die Heime wie andere Unternehmen auch. Die Stromrechnung dürfte bald doppelt so teuer ausfallen wie zuvor. Sind Sie eigentlich auch auf einen Stromausfall vorbereitet?
Wigger: Ja. Dazu sind wir gesetzlich verpflichtet. Wir haben riesige Wassertanks, einen großen Akku, um die Betten bewegen zu können. Sauerstoffflaschen, die im Notfall die elektrisch betriebenen Beatmungsgeräte ersetzen können. Wir haben Konserven en masse. Wir haben einen gasbetriebenen Kühlschrank für Insulinpräparate. Bestimmt habe ich noch nicht alles aufgezählt. Und bei allem hoffe ich, dass es nicht so weit kommt. Corona hat uns mehr als gereicht.

Zur Person: Andreas Wigger

Zur Person: Andreas Wigger ist der Leiter des Alten- und Pflegeheimes Haus Clarenbach in Lüttringhausen. Der 61-Jährige stammt aus dem Örtchen Wiedenest bei Bergneustadt und kam 1991 nach Remscheid. Der studierte Diplom-Sozialpädagoge arbeitete im Sozialen Dienst im Haus Clarenbach. 2018 übernahm er die Leitung. Wigger wohnt und lebt in Lüttringhausen.

Zum Haus: Das Haus Clarenbach bietet 80 Heimplätze für pflegebedürftige alte Menschen. Das Alten- und Pflegeheim befindet sich unter dem Dach des Evangelischen Alten- und Krankenhilfe e.V. Ihm gehört auch die Diakoniestation Remscheid gGmbH, die Hastener Altenhilfe gGmbH und die Wiedenhof Evangelische Altenbetreuung gGmbH an.

Alle Interviews der Woche finden Sie hier.

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