Geteiltes Echo auf Wahlrechtsreform

Verkleinerung des Bundestags: Das sagen die Bergischen

Nach der geplanten Bundestagsreform ist künftig nicht mehr hundertprozentig sicher, ob der Gewinner auch in den Bundestag einzieht.
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Nach der geplanten Bundestagsreform ist künftig nicht mehr hundertprozentig sicher, ob der Gewinner auch in den Bundestag einzieht.
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Die von der Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorgeschlagene Reform, nach der künftig unter anderem nicht mehr alle Wahlkreissieger automatisch in den Bundestag einziehen sollen, stößt auf Zustimmung und Abneigung.

Von Kristin Dowe und Andreas Tews

Bergisches Land. Ein großes Ziel haben die bergischen Bundestagsabgeordneten gemeinsam: Der Bundestag muss wieder verkleinert werden. Der Weg dorthin ist aber umstritten. Die von der Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorgeschlagene Reform, nach der künftig unter anderem nicht mehr alle Wahlkreissieger automatisch in den Bundestag einziehen sollen, stößt auf Zustimmung beim SPD-Abgeordneten Ingo Schäfer. Sein CDU-Kollege Jürgen Hardt bezeichnet sie als „Verstoß gegen die Fairness“. Beide sind sich aber mit dem Wuppertaler Politikwissenschaftler Professor Hans J. Lietzmann einig darin: Weil CDU und SPD hier relativ stark gegenüber den anderen Parteien sind, können sich die Gewinner des Wahlkreises 103 (Solingen / Remscheid / Wuppertal-Süd) auch weiterhin einigermaßen sicher fühlen.

Hintergrund: Nach jahrelanger Debatte steht die Reform des Wahlrechts für heute auf der Tagesordnung des Bundestages. Der Vorschlag der Koalition sieht eine Sollgröße des Bundestages von weiterhin 598 Abgeordneten vor. Durch Überhang- und Ausgleichsmandate (|) soll das Parlament nur auf maximal 630 Sitze anwachsen. Entscheidend bleiben die Stimmanteile bei der Zweitstimme. Über die Direktwahl in den Wahlkreisen ziehen im Zweifel nur die Kandidaten mit den höchsten Erststimmanteilen in den Bundestag ein. Außerdem reichen für Parteien, die auf weniger als fünf Prozent der Stimmen kommen, drei Direktmandate nicht mehr aus, um Anspruch auf Bundestagssitze entsprechend dem Stimmenanteil zu haben.

Der Befürworter: Der Sozialdemokrat Ingo Schäfer wird für die Reform stimmen. Er bewertet es als Pluspunkt für die Demokratie, dass die Politik jetzt ihr Versprechen einlöse, den Bundestag zu verkleinern. Das von der Koalition angestrebte Verfahren hält er für gerecht, weil der Stimmenanteil der Parteien entscheidend sei. Es wäre zwar schmerzlich, wenn direkt gewählte Kandidaten nicht in den Bundestag einzögen. Schäfer sieht hier aber auch eine Einflussmöglichkeit der Bürger: „Den Wählern muss klar sein, wen man wählt.“ Die Zahl der Wahlkreise zu reduzieren, wäre aus Schäfers Sicht falsch. Schon jetzt seien die Wahlkreise groß, und es sei schwierig, dem als Abgeordneter, der vor Ort präsent sein wolle, gerecht zu werden.

Der Zweitplatzierte, Jürgen Hardt (r.), gratulierte am Wahlabend 2021 dem Wahlkreissieger Ingo Schäfer.

Der Gegner: Christdemokrat Jürgen Hardt kündigt an, heute gegen die vorgeschlagene Reform zu stimmen. Begründung: Von der geplanten Kappung der Direktmandate wären 2021 nur CDU und CSU betroffen gewesen. Eine solche Reform vorzuschlagen, sei „ungeheuerlich“. Er rechnet mit einer Welle der Empörung. Den Wählern sei nicht zu erklären, wenn ihr Wahlkreis nicht mehr im Bundestag vertreten sei. Zudem sei der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Verzichten Parteien in Wahlkreisen auf eigene Kandidaten und unterstützen parteinahe unabhängige Bewerber, könne dies das Ergebnis verzerren. Hardt spricht sich dafür aus, die Zahl der Wahlkreise auf 280 zu reduzieren. So käme der Bundestag auf nicht viel mehr als 600 Abgeordnete.

Politikwissenschaftler Prof. Hans. Lietzmann.

Der Experte: Verfassungsjurist Hans J. Lietzmann hält die Reform für „einen demokratischen Ansatz und verfassungsrechtlich absolut unproblematisch“. Sie stärke das Verhältniswahlrecht und die Bedeutung der Zweitstimme, was der parlamentarischen Arbeit nur zugutekommen könne: „Der Bundestag ist in seinem jetzigen Zustand viel zu aufgeblasen, so dass der Einfluss der Abgeordneten gemindert wird und niemand mehr richtig zu Wort kommt. So hat es eher etwas vom chinesischen Volkskongress.“ Die Kritik, dass regionale Interessen vernachlässigt werden, wenn es für Kandidaten mit Direktmandat größere Hürden für den Einzug in den Bundestag gibt, hält er für verfehlt. „Es gibt keine Abgeordneten erster und zweiter Klasse“, sagt er mit Blick auf direkt gewählte Parlamentarier auf der einen und jene mit Listenplatz auf der anderen Seite. „Die direkt gewählten Kandidaten sind nicht die großen Helden ihres Wahlkreises.“ Insgesamt trage die Reform einer „stark ausdifferenzierten Gesellschaft“ Rechnung, in der immer mehr politische Lager einen Machtanspruch formulierten. Dies stärke teilweise auch die Ränder. „Das Stück, das die Parteien sich vom Kuchen abschneiden können, wird immer kleiner.“

Überhang- und Ausgleichsmandate

Ausschlaggebend für die Mehrheiten sind die Stimmenanteile der Parteien. Bisher gilt: Gewinnt eine Partei in den 299 Wahlkrei-sen mehr Direktmandate, als ihr Sitze nach ihrem Stimmenanteil zustehen, erhält sie Überhangmandate. Das bedeutet, alle direkt gewählten Abgeordneten ziehen in den Bundestag ein. Die Mehrheitsverhältnisse werden durch Ausgleichsmandate angepasst. Das bedeutet: Die Überhangmandate werden ausgeglichen, indem die anderen Parteien entsprechend zusätzliche Sitze erhalten. Dadurch wuchs der Bundestag in dieser Legislaturperiode auf 736 Sitze an. Die Soll-Stärke liegt bei 598 Sitzen.

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