Jugendherberge in neuem Gewand
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Die Buchungen zielen auf ein Rekord-Niveau.
Von Cristina Segovia-Buendía
Radevormwald. Die Generationen von Babyboomern (bis 1965) und Millennials (1980 bis Mitte der 1990er) werden sich noch lebhaft an ihre Schulausflüge und Klassenfahrten in die umliegenden Jugendherbergen erinnern: Rustikale Herbergen, meist abgelegen in der Nähe zur Natur, zahlreiche Zimmer entlang eines schmalen Flurs mit drei bis vier Hochbetten darin. Die Gemeinschaftsduschen und Toiletten lagen dazwischen – und im Erdgeschoss ein großer Speisesaal. Hier kümmerte sich eine eingeteilte Gruppe um den Küchendienst, deckte Tische ein und räumte sie hinterher wieder ab. Das Herbergsessen kam auf einem Servierwagen hineingeschoben.
Auf eine gewisse Weise versprüht auch die Jugendherberge in Radevormwald, die zweitälteste der Welt, noch diesen Charme von einst. Doch tatsächlich hat sich vieles geändert, vor allem seit der Pandemie, sagt Regionalleiter Bernd Claessen. „Wir haben seit Corona Desinfektionsspender an den Eingängen.“ Das aber ist nur ein kleines Überbleibsel. Vielmehr wurde das Haus mit 29 Zimmern, 131 Betten und sieben Tagesräumen auf neuere Standards gehoben, berichtet Claessen. Aus den einstigen 8er- und 12er-Zimmern sind Zwei- bis Vierbettzimmer entstanden, mit eigenem Bad. In der langen Pause während der Pandemie wurde das Haus von innen renoviert. Es hat einen neuen Anstrich bekommen, neue Böden wurden verlegt.
Für die neue Saison musste Claessen ein neues Team zusammenstellen. „Mit der Schließung des Hauses zu Corona sind uns bis auf zwei so gut wie alle Mitarbeiter abhandengekommen.“ 15 Leute arbeiteten an der Telegrafenstraße. Die langjährige Leiterin Claudia Weber musste im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen nach 20 Jahren im Dienst der Herberge zurücktreten. Seitdem sucht Claessen einen geeigneten Nachfolger oder Nachfolgerin. Doch das gestaltete sich derzeit schwierig: „Die klassischen Herbergseltern, die noch im Haus mitwohnen und das Ganze führen, gibt es nicht mehr.“ Kaum jemand habe Interesse, vor Ort zu wohnen.
Zudem sei man als Leiter vielfältig gefragt. Es geht auch um Führungsqualitäten, einen wirtschaftlichen Überblick und um die konzeptionelle Ausrichtung des Hauses. „Ein pädagogisches Know-how wäre von Vorteil, weil wir hier eben nicht nur eine nette Übernachtungsmöglichkeit mit Verpflegung sind, sondern als Jugendherberge auch ein pädagogisches Programm anbieten“, meint der Regionalleiter. In Radevormwald etwa liegt der Schwerpunkt auf Natur- und Erlebnispädagogik, neuerdings aber auch auf musikalischen und sportlichen Angeboten. „Wir sind kürzlich als Herberge für Sportgruppe zertifiziert worden“, teilt Claessen mit. Die Natur rund um das Haus sowie der Spiel- und Bolzplatz auf dem Gelände bieten ausreichend Platz für sportliche Aktivitäten.
Für dieses Jahr will er noch das Außengelände rund um die Herberge auf Vordermann bringen lassen und das Haus weiter für spezielle Zielgruppen (Musiker, Familien, Sportler und Tagesgäste) profilieren. Derzeit sei Claessen noch in Gesprächen, um ein Klavier fürs Haus zu bekommen, um so auch für Musikgruppen attraktiv zu sein.
Auch mit dem ADFC sei er in Kontakt, um die Rader Jugendherberge als Bed & Bike-Unterkunft zu bewerben. Die Jugendherberge ist eben nicht mehr nur noch Übernachtungsmöglichkeit für Schulklassen, sondern eben auch Rückzugsort für Gruppen, für Teambuildingmaßnahmen, Wanderer und für Familien. Und sie wird nach der Pandemie offensichtlich auch wieder sehr gut angenommen, sagt Claessen zufrieden. Im Spätsommer 2021 besuchte die erste Schulklasse die Herberge in Radevormwald. „Im vergangenen Jahr hatten wir 6800 Übernachtungen. Für dieses Jahr haben wir bereits 15 200 Buchungen. Ich gehe davon aus, dass wir für 2023 insgesamt 17 000 Übernachtungen verbuchen können und somit wieder an die Zahlen von 2019 anschließen können“, sagt er.
Im Vergleich zu anderen eher urbanen Herbergen, wie etwa Köln, die jährlich etwa eine Million Übernachtungen verbucht, seien die Rader Zahlen zwar niedrig, die pädagogische Ausrichtung daher umso wichtiger. Ein weiteres Puzzlestück müsse sein, den regionalen Tourismus zu stärken, für den die Jugendherberge ebenfalls interessant sein könnte.
„Wir befinden uns auf dem Weg, werden auch noch mit der Stadt Radevormwald etwas enger in Kontakt treten, um uns vor Ort besser zu positionieren, vorzustellen, was wir als Herberge der Stadt bieten können und wo wir mit unserem Netzwerk helfen können, um Radevormwald besser zu positionieren, um mehr Besucher und Ausflügler hier herzulocken“, sagt Claessen.
Am Standort Radevormwald, sagt er überzeugt, sei nicht zu rütteln. „Dafür haben wir schon zu viel Kraft und Energie hier reingesteckt, dafür ist uns die Herberge hier in der Natur zu viel wert.“
Verantwortliche
Bernd Claessen und Heidrun Kemper teilen sich seit 2013 die Führung der 32 Jugendherbergen in NRW als Regionalleiter und unterstehen der Stabstelle der Geschäftsführung des Deutschen Jugendherbergswerk. Claessen, der ursprünglich aus der Fünf-Sterne-Hotelbranche kommt und in Thailand und Asien gearbeitet hat, ist für 16 Herbergen im Rheinland verantwortlich.