Spannender Job

Gefängnis-Seelsorger aus Überzeugung

Michael Diezun ist Gefängnispfarrer in der JVA Remscheid.
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Michael Diezun ist Gefängnispfarrer in der JVA Remscheid.

Seit August arbeitet Michael Diezun als Gefängnispfarrer in der JVA Lüttringhausen.

Von Heike Karsten

Hückeswagen. Ex-Kanzler Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „Mit der Bergpredigt kann man keine Politik machen.“ Doch als Michael Diezun die Bergpredigt auf einer Zugfahrt gelesen hatte, brachte ihn das zum Umdenken. Er trat sein Jura-Studium in Passau nicht an, sondern studierte Theologie. „Dabei war ich zu der Zeit aus der Kirche ausgetreten und musste mich erst neu anmelden“, erinnert sich der 62-Jährige und schmunzelt.

Nach dem Studium in Bochum, Bern, Heidelberg und Ost-Berlin hatte er zunächst als Gemeindepfarrer in Wuppertal gearbeitet und war dort in Kontakt zur Justizvollzugsanstalt gekommen. „Mir war schnell klar, dass ich entweder als Seelsorger bei der Bundespolizei oder im Gefängnis arbeiten möchte“, sagt Michael Diezun, der aus Hamburg stammt und inzwischen mit seiner Ehefrau Beryl (52) in Hückeswagen lebt. Dieser Wunsch hat sich nun erfüllt, als im Sommer 2022 eine Stelle als Seelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Lüttringhausen frei wurde.

Dort kommen seine Art und die Angebote für Gespräche, Gottesdienste und Gebete bei den Häftlingen gut an. „Die Bibelgruppe wurde immer größer, so dass ich sie teilen musste“, berichtet der Pfarrer.

Dass er dabei Bankräubern, Pädophilen oder auch Mördern gegenübersitzt, belastet den 62-Jährigen nicht. „Ich war selbst überrascht, wie normal sich das anfühlt“, beschreibt er die Situation. Zumal die Häftlinge, die das Angebot des Pfarrers in Anspruch nehmen, nicht unbedingt die ganz „harten Jungs“ sind. Vielmehr gehe es häufig um Drogendelikte, Abschiebung oder Beziehungstaten, wobei viele im eigenen Elternhaus oder sogar schon im Mutterleib mit Alkohol und Drogen in Kontakt gekommen waren.

Teilweise sind die Gespräche mit den Häftlingen aber auch sehr belastend, besonders wenn Hoffnungslosigkeit und Ungeduld, wie während der Wartezeit auf einen Therapieplatz, mit im Spiel sind. „Es sind aber ganz normale Menschen, die nach ihrer Gefängnisstrafe wieder anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sein wollen“, versichert Diezun, der dazu beitragen will, den Menschen den Weg in die Normalität zu eröffnen.

Der Arbeitstag des Gefängnisseelsorgers ist teilweise lang, denn die meisten Häftlinge haben erst abends nach der Arbeit Zeit. Dann finden die Bibelstunden und auch die Chorprobe statt – teilweise bis 20.30 Uhr. Ein Tag pro Woche und ein Wochenende im Monat hat der Hückeswagener frei. Mit den Gemeindepfarrern möchte er dennoch nicht tauschen. „Die Arbeit in der Gemeinde ist härter“, ist der Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland überzeugt.

Dass die Gottesdienste in der Pauluskirche überdurchschnittlich gut besucht sind, freut den Pfarrer, der mitunter beim „Kanzeltausch“ die Predigt übernimmt. In Deutschland ist das keine Selbstverständlichkeit mehr. Dabei hat Michael Diezun Kirche auch schon ganz anders kennengelernt: Sechs Jahre war er als Pfarrer in Südafrika, wo er auch seine heutige Ehefrau kennengelernt hatte. „Wenn die Gemeinde 400 Mitglieder hat, kommen dort 300 in den Gottesdienst“, erzählt Beryl Diezun.

Die Christen in Afrika beteiligen sich am Gemeindeleben, bereiten Gottesdienste und Feste vor, singen, tanzen und spenden Geld für den Erhalt des Kirchengebäudes und der Pfarrerstelle. „Ich habe dort erlebt, dass Glaube Spaß und Freude macht. Die Menschen fühlen sich befreit und strahlen, wenn sie aus dem Gottesdienst kommen“, sagt Michael Diezun. „Genau diese Hoffnung gibt uns der Glaube.“

Ein großes Fest war auch die Hochzeit von Michael und Baryl Diezun, die gleich dreimal gefeiert wurde – standesamtlich in Namibias Hauptstadt Windhoek, kirchlich in Johannisburg und traditionell afrikanisch in Soweto, der Heimatstadt der Investmentbankerin für Erneuerbare Energien. Seit ihrem Wechsel nach Hückeswagen besucht sie gerne das Café Kiwie am Drosselweg und hilft, wann und wo immer sie kann – vor allem mit Übersetzungen. An das nasskalte Wetter in Deutschland hat sie sich dagegen noch nicht ganz gewöhnt. „Schön wäre es, im Sommer in Deutschland und im Winter in Afrika zu leben“, verrät sie und lacht.

Was Michael Diezun damals an der Bergpredigt so beeindruckt hat, dass er Pfarrer wurde, erklärt er so: „Es war die Klarheit, die mich geschockt hat, und ich war überrascht, dass es so einfach ist.“ Heute wisse er als 62-Jähriger, dass vieles ganz und gar nicht einfach ist. Daher hat Diezun als Seelsorger auch immer ein offenes Ohr für seine Mitmenschen.

Zur Person

Kindheit: Michael Diezun wurde in Hamburg geboren; sein Abitur machte er in Düsseldorf.

Ausbildung: An der Uni Passau hatte er einen Platz für das Jura-Studium bekommen, es aber nie begonnen. Stattdessen studierte er Theologie in Bochum, Bern, Heidelberg und Ost-Berlin.

Stellen: Als Pfarrer arbeitete Michael Diezun in Wuppertal, Düsseldorf, Ratingen und Grevenbroich. Von 2011 bis 2017 wurde er von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) als Pfarrer in zwei afrikanische Gemeinden im Ballungszentrum Johannesburg / Pretoria entsandt.

Seelsorge: Seit dem 1. August 2022 ist der 62-Jährige als Gefängnispfarrer in der Justizvollzugsanstalt Remscheid-Lüttringhausen tätig.

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