Nie dagewesene Situation

Harte Zeiten für Bäcker: So viele Mehrkosten entstehen durch Energiekrise und Inflation

Die Kosten in der Backstube schießen durch die Decke: Richard Kretzer nennt das eine „nie dagewesene Situation“.
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Die Kosten in der Backstube schießen durch die Decke: Richard Kretzer nennt das eine „nie dagewesene Situation“.
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Richard Kretzer, Chef der gleichnamigen Bäckerei, fordert ein Eingreifen des Staates.

Von Nadja Lehmann

Burscheid. Nein, wirklich überrascht hat die derzeitige Entwicklung Richard Kretzer nicht. Die explodierenden Preise, die horrenden Stromkosten für die Backstube mit ihren Herden und Öfen hat der Chef der Burscheider Bäckerei kommen sehen. Da hat er den klaren Blick des Unternehmers, das Wissen des studierten Betriebswirts. Und trotzdem: Man merkt ihm im Gespräch an, wie ihn das alles umtreibt: „Das ist eine noch nie dagewesene Situation“, sagt Richard Kretzer.

Teuerungen und Preissprünge habe es immer gegeben. Aber jetzt? „Die Preise galoppieren. Wöchentlich geht es hoch“, sagt Kretzer. Und meint dabei nicht allein den Strom, sondern die Rohstoffe. Dinge, die eine Bäckerei zukaufen muss: Eier, Butter, Mehl, Zucker, Molkereiprodukte. Die Liste ist lang. Und die Verpackung dazu braucht es schließlich auch noch, wie Mehlsäcke. Die wurden durch die Frischfaserkrise zur Mangelware, was dazu führte, dass auch ein langjähriger Vertragspartner wie eine bei Ulm gelegene Mühle, die Dinkelmehle und Emmer nach Burscheid liefert, preislich aufschlagen musste.

Früher habe er immer gesagt, „es ist die beste Werbung, wenn unsere Tragetasche durchs Dorf geht“, erinnert sich Kretzer. Heute sei es nicht mehr möglich, jedem Kunden und jeder Kundin freigiebig jedes Brot in schöner Verpackung mitzugeben. Straffung ist angesagt. Auch im Sortiment. Beim Kürbiskernbrot beispielsweise beträgt der Preissprung 85 Prozent. „Wer soll das kaufen?“, sagt Kretzer. „Das ist zu teuer. Wir brauchen es derzeit nicht anzubieten.“ Aus ursprünglich vier Croissant-Varianten wurden zwei: „Normal“ und Schokofüllung gibt es noch; Kretzer strich Vanille und Aprikose – und mit Letzterem das eigene Lieblingsgebäck. „Die Rohstoffkosten werden auf extrem hohem Niveau bleiben“, prognostiziert der 35-jährige Betriebswirt. Die schnelle Entspannung ist nicht in Sicht.

„Und der Energiebereich setzt allem die Krone auf“, wird Kretzer deutlich. Versorger Belkaw habe zudem angesichts der „nervösen Börse“ das Einkaufsverhalten geändert: Früher habe der Versorger ein Angebot gemacht, das man annahm oder eben nicht. „Jetzt hat die Belkaw ihren Strom im Block gekauft, durch zwölf geteilt und einen Durchschnittspreis ermittelt“, schildert Kretzer. Man habe das Risiko streuen wollen. Aus dem ursprünglich angekündigten Arbeitspreis von 4,8 Cent pro Kilowattstunde seien so 36 Cent geworden: „Für uns bedeutet das Strommehrkosten von rund 180 000 Euro im Jahr.“

Wenig Hoffnung verknüpft Richard Kretzer mit der Strompreisbremse, die Bundestag und Bundesrat 2022 auf den Weg brachten. Sie soll ab März greifen, rückwirkend aber auch für Januar und Februar 2023 gelten. „Wir haben unsere Filialen mit modernster Technik ausgestattet. Alles stromsparend. Dafür werden wir bestraft“, sagt Kretzer. Denn bei der Strompreisbremse bildet der jährliche Stromverbrauch von 30 000 Kilowattstunden die Grenze zwischen zwei Verbrauchsgruppen. Wer weniger Strom im Jahr verbraucht, erhält 80 Prozent des Strombedarfs zu einem Endkundenpreis – inklusive Steuern, Umlagen und Abgaben – von 40 Cent. Wer mehr Strom im Jahr verbraucht, erhält 70 Prozent zu 13 Cent Arbeitspreis, zusätzlich aller weiteren Umlagen, Abgaben und Steuern. „Ein Zuschussgeschäft kann man nur begrenzt betreiben“, sagt Kretzer. Jedes Unternehmen sei darauf angelegt, Gewinne zu erwirtschaften, um wieder investieren zu können. Seine Forderungen sind klar: Der Strom müsse in staatliche Hand, der Mittelstand steuerlich entlastet, energieintensive Unternehmen subventioniert werden.

„Ich bin überhaupt kein Fan davon, dass der Staat in den Markt eingreift“, betont Kretzer. Doch genau darauf sei man nun angewiesen: „Es sind turbulente Zeiten, und ich hoffe, dass da die richtigen Leute sitzen“, sagt Kretzer, der daran erinnert, dass der Staat in der Pandemie ja schon einmal das Heft des Handelns an sich gezogen hat, indem er Geschäfte, Cafés und Gastronomie schloss. „Diejenigen, die wir beliefert haben.“

Den Kopf in den Sand zu stecken, ist für den 35-Jährigen indes keine Option. „Unternehmer können Krise“, so lautete sein Motto bereits im vergangenen Jahr im Gespräch mit dem Bergischen Volksboten. Und er sieht sich in der Verantwortung für seine Mitarbeitenden, die er auch während der Pandemie nicht in Kurzarbeit geschickt hat: „Wie hätte ich das einer alleinerziehenden Mutter erklären sollen?“, sagt er dazu.

Gleichwohl gefällt ihm die Ungewissheit nicht. „Eine Entwicklung, die man nicht selbst in der Hand hat, macht nervös“, findet er. Und setzt auf die Politik, in der er sich selbst als CDU-Ratsherr engagiert: „Dort ist man sich bewusst, dass man eingreifen muss. Das ist ein Hoffnungsschimmer.“

Hintergrund

Der Stammsitz der Bäckerei Kretzer befindet sich in Hilgen (Kölner Straße). Zum Unternehmen gehören insgesamt zwölf Filialen, in denen insgesamt rund 100 Menschen beschäftigt sind. Ende des Jahres 2012 hat Richard Kretzer den Betrieb in dritter Generation von Vater Lothar übernommen.

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