Hospiz
Shabnam und Wolfgang Arzt: Die 13 Jahre mit ihrer Tochter
- 0 Kommentare
-
Feedback
schließen
- Weitere
Umarmen und Loslassen: Shabnam und Wolfgang Arzt lasen beim ÖHHB. Eine eindringliche Schilderung des Abschied-Nehmens. Und ein Plädoyer für Hospizdienste wie den Burscheider, der dringend Ehrenamtliche sucht.
Von Tanja Alandt
Wie glücklich und dankbar sie über jeden einzelnen gemeinsamen erlebten Moment mit ihrer Tochter Jaël sind, ließen Shabnam und Wolfgang Arzt auch am Freitagabend die Besucherinnen und Besucher bei ihrer Lesung spüren. Im ökumenischen Hospiz Hausbetreuungsdienst Burscheid e. V. lasen sie aus ihrem gemeinsamen Buch „Umarmen und Loslassen“ vor.
Shabnam Arzt erzählte, wie sie sich fühlten, als sie im achten Monat erfuhren, dass ihr Baby wahrscheinlich einen „Chromosomen-Defekt“ haben wird und es „bei der Untersuchung nicht als ein Mensch betrachtet wurde, sondern als etwas Fehlerhaftes“.
„Aber wir wollten unsere Tochter kennenlernen, egal was sie hat und sie willkommen heißen“, sagte sie. Als sie ihre Tochter in den Armen hielten, war es Liebe auf den ersten Blick. Mit einer „Horrorliste“ auf einem DIN-A-4 großem Blatt wurden sie jedoch alleine gelassen, worauf sie lesen mussten, dass die Überlebenschancen bei „Trisomie 18“ nur wenigen Sekunden, Minuten, Tage, Wochen oder maximal wenige Monate betragen soll, berichteten sie.
Da sie möglichst viel Zeit mit ihrer Tochter zusammen verbringen wollten, stand für sie fest, sie selber zu Hause zu pflegen. Shabnam Arzt versprach ihrer Tochter, ihr im Sommer das Meer zu zeigen, woran ihr Mann zunächst nicht geglaubt hatte.
Doch sie konnten 13 wertvolle Jahre zusammen genießen, bis Jaël starb.
„Jaël hat drei Meere gesehen und hat mehr Reisen unternommen, als manch ein Erwachsener“, sagte Wolfgang Arzt nach einer Diashow. „Sie war wirklich so hübsch, die Fotos wurden nicht mit Photoshop bearbeitet“, sagte seine Frau, die jeden gemeinsamen Moment mit ihrer Kamera festhielt und alle Fotos im Safe aufbewahrt. Bereits die kleine Auswahl an Bildern zeigte, wie viel Liebe, Freude, Glück und Leben in dem Leben ihrer Tochter steckte.
„Wir haben versucht, möglichst viele Erinnerungen zu sammeln“, so Shabnam Arzt. Sei es Karneval, Jugendfreizeit oder Delfintherapie – Jaël hatte offensichtlich sehr viel Spaß gehabt. Die Diagnose stand nicht mehr im Vordergrund, sagte Wolfgang Arzt. Zwar konnte sie nicht alleine sitzen, stehen oder sprechen, doch sie konnte mit ihren Blicken und Augen tiefe Kommunikation betreiben, erzählte er.
Nach jeder Mahlzeit oder dem Anziehen, gab es eine lange Umarmung von ihr, erzählte seine Frau. Tiefe Spuren habe sie nicht nur bei ihrer Familie und ihren Freunden hinterlassen. Ebenfalls im Kinderhospiz Olpe, das sie als „Kraftquelle“ und als „eine Herberge zum Verweilen auf einer Reise“ bezeichneten und gerne zum „Akku aufladen“ und als eine Art Kururlaub genutzt haben, hinterließ sie große Spuren, berichtete Wolfgang Arzt.
„Wir hatten fünf Tage.“
Gerne wird sich dort zurückerinnert, wie Jaël beispielsweise tagsüber zunächst den Grießbrei vehement verweigerte und sich diesen dann mitten in der Nacht zurückeroberte. Zutiefst dankbar sind Shabnam und Wolfgang Arzt außerdem, dass ihnen fünf Tage für den Abschied gegeben wurden. „Wie viele Menschen sterben plötzlich und unerwartet bei Unfällen, die ein Verabschieden nicht möglich machen“, erinnerte Wolfgang Arzt. „Wir hatten fünf Tage!“, sagte er. „Wir sind zwar von ihr getrennt, aber wir sind ja immer noch ihre Eltern“, sagte seine Frau.
„Jaël genoss, was sie hatte und sie verpasste gar nichts“, sagte das Ehepaar aus Solingen. Bevor die ergriffenen Zuhörerinnen und Zuhörer ihnen persönliche Fragen stellen konnten, berichteten sie, dass sie von ihrer Tochter lernen durften, „mit allen Sinnen im Augenblick zu sein“ sowie die glücklichen Momente zu genießen und „im vollen Moment zu sein“. Durch sie erfuhren sie ebenfalls, „wie kostbar Begegnungen sind und der Reichtum in den Beziehungen liegt“. „Es war eine Einladung ins Jetzt, in die Dankbarkeit und in die Achtsamkeit“, sagten sie.
Ihr Buch gibt es unter anderem beim Buchladen Ute Hentschel. Der ÖHHB-Vorstand sowie 40 Ehrenamtliche und demnächst weitere acht Ehrenamtliche bieten Sterbe- und Trauerbegleitung an.
Hintergrund: Helfer gesucht
Der ÖHHB (Ökumenisches Hospiz Hausbetreuungsdienst Burscheid e. V.) sucht noch Ehrenamtliche, die ihn beispielsweise auf Märkten präsentieren und über die Arbeit informieren möchten oder auch mal einen Kuchen backen können, sowie für alles weitere Drumherum. Diese sollten Lust haben, sich mit dem Thema zu beschäftigen, Empathie besitzen sowie in der letzten Zeit selber keinen schlimmen Verlust erlitten haben, zudem gefestigt und affin in dem Thema sein. Weitere Informationen unter: www.oehhb.de